Der Wind raschelt sanft durch die Bäume, als ich über die alte Brücke in Anklam schlendere. Mit 11.965 Einwohnern und einer bewegten Geschichte scheint diese mecklenburgische Stadt wie ein vergessenes Zeitportal. Ich stehe auf einer geologischen Besonderheit – einer inselartigen Geschiebemergelscholle, die 6 Meter über dem Urstromtal der Peene thront. Während Sarah Fotos vom Fluss macht, kann ich kaum glauben, dass diese unentdeckte Hansestadt nur 2 Stunden von Berlin entfernt liegt.
Diese mittelalterliche Hansestadt wurde auf einer seltenen geologischen Formation erbaut
Anklam steht auf einem Naturwunder. Die Stadt wurde auf einer inselartigen Geschiebemergelscholle errichtet – einer Art natürlicher Erhebung im ansonsten flachen Peenetal, die während der letzten Eiszeit entstand. Diese einzigartige Geoformation ist Teil derselben eiszeitlichen Struktur, die auch Rügens imposante Findlinge hervorbrachte.
Die mittelalterlichen Stadtplaner nutzten diese natürliche Erhöhung geschickt aus. Von hier aus kontrollierten sie den Handelsweg entlang der Peene – ein strategischer Vorteil, der Anklam im Jahr 1283 den Beitritt zur Hanse ermöglichte. Die Stadt entwickelte sich zu einem wichtigen Handelszentrum, dessen Reichtum sich in beeindruckender Backsteinarchitektur manifestierte.
Während ich durch die kopfsteingepflasterten Straßen wandere, fallen mir die imposanten Hallenkirchen auf. St. Marien und St. Nikolai sind prachtvolle dreischiffige Bauwerke aus dem 13. Jahrhundert, deren Türme die Stadt überragen – Zeugen einer Zeit, als Anklam in einer Liga mit Lübeck und Stralsund spielte.
Trotz 39% Bevölkerungsrückgang: Beeindruckende Architekturschätze ohne Touristenmassen
Die Geschichte Anklams in Zahlen ist faszinierend. 19.384 Menschen lebten hier 1990, heute sind es nur noch 11.965 – ein Rückgang von 39%. Doch während die Einwohnerzahl sank, blieb die architektonische Substanz erhalten. Dadurch entsteht ein ungewöhnliches Verhältnis von historischen Bauten zu Einwohnern.
Anders als im UNESCO-Weltkulturerbe Stralsund, wo im Sommer Touristengruppen durch die Straßen schieben, kann ich hier in Ruhe die mittelalterliche Architektur bewundern. Das rekonstruierte Rathaus mit seinem charakteristischen Turm steht stolz am 1 Hektar großen Marktplatz – ein Ort, an dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint.
„In unserer Stadt kannst du noch echte Hansegeschichte spüren, ohne zwischen Souvenirläden und Touristenmassen eingequetscht zu sein. Die Steine erzählen ihre Geschichten nur denen, die wirklich zuhören wollen.“
Während in Stralsund jährlich Hunderttausende Besucher durch die Gassen strömen, begegnen mir in Anklam hauptsächlich Einheimische. Diese Ruhe verleiht der Stadt eine Authentizität, die in vielen bekannteren Hansestädten längst verloren gegangen ist. Nur 40 Kilometer entfernt können Interessierte auch die historische Klappbrücke in Greifswald besuchen – ein weiteres architektonisches Juwel der Region.
Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen
Der beste Zugang zu Anklams Schätzen beginnt am Steintor – dem letzten erhaltenen Teil der mittelalterlichen Stadtbefestigung. Parken Sie kostenlos am Bollwerk nahe der Peene und erkunden Sie die Stadt zu Fuß. Besuchen Sie die Kirchen am frühen Vormittag, wenn das Licht durch die historischen Fenster fällt.
Ein besonderes Erlebnis bietet die Peene selbst – oft als „Amazonas des Nordens“ bezeichnet. Mieten Sie ein Kanu am Stadthafen (ab 25 Euro) und gleiten Sie durch eine fast unberührte Naturlandschaft. Die Flussauen beherbergen seltene Vogelarten und eine vielfältige Flora, die sich perfekt mit einem Abstecher zu Usedoms authentischen Fischerdörfern verbinden lässt.
Für den Sommer 2025 planen lokale Organisatoren besondere Veranstaltungen im Rahmen des Tags der Städtebauförderung. Diese bieten einen seltenen Einblick in sonst verschlossene historische Gebäude – ein idealer Zeitpunkt für Ihren Besuch.
Während ich meinen letzten Abend in einem der kleinen Cafés am Marktplatz ausklingen lasse, denke ich an die versteckten Geschichten dieser Stadt. Anklam ist wie ein gut gehütetes Geheimnis in einer Welt der überlaufenen Touristendestinationen – ein Ort, wo Geschichte nicht inszeniert, sondern einfach ist. „Manchmal“, flüstere ich zu Emma, als wir unsere Taschenlampen auf die nächtlichen Backsteinmauern richten, „sind die größten Schätze genau dort, wo niemand hinschaut.“