Ich stehe auf dem mächtigen Eulenspiegelturm, und ein warmer Juliwind streicht durch mein Haar. Unter mir breitet sich Bernburg aus – eine Stadt mit nur 31.000 Einwohnern, die jedoch eine unglaubliche Dichte historischer Schätze beherbergt. Der 44 Meter hohe mittelalterliche Bergfried, auf dem ich stehe, ist selbst ein Wunder: 3 Meter dicke Mauern aus dem 12. Jahrhundert umgeben mich. Von hier überblicke ich das Schloss Bernburg, das stolz als „Krone Anhalts“ bezeichnet wird – ein Renaissance-Juwel, das selbst in Deutschland weitgehend unbekannt geblieben ist.
Ein verstecktes Juwel mit dichter historischer Substanz
Was mich an Bernburg sofort fasziniert: Die Konzentration mittelalterlicher und Renaissance-Architektur ist höher als in vielen bekannten deutschen Touristenstädten. Auf nur 113 Quadratkilometern finden sich sechs historische Kirchen, ein komplettes Renaissance-Schloss und zahlreiche mittelalterliche Bauwerke.
Der Eulenspiegelturm gehört zu den beeindruckenden mittelalterlichen Bauten Sachsen-Anhalts, einer Region, die auch Deutschlands älteste Stiftskirche in Gernrode beherbergt. Seine strategische Position über der Saale macht ihn zu einem dominanten Wahrzeichen.
Was besonders überrascht: Bernburg wurde erstmals 961 n. Chr. als „Brandanburg“ erwähnt und hat Kriege, Brände und Jahrhunderte überdauert. Im Schlossgraben leben sogar noch echte Bären – eine Anspielung auf den Stadtnamen „Bärenburg“ und das Wappen der Askanier.
Das deutsche Annecy: Vergleich mit verblüffenden Parallelen
Während meiner Reisen erinnert mich Bernburg stark an das französische Annecy – beide bieten diese perfekte Kombination aus Wasserlandschaft, mittelalterlichem Stadtkern und Renaissance-Architektur. Der entscheidende Unterschied: Während Annecy von Millionen Touristen jährlich überlaufen wird, empfängt Bernburg nur einen Bruchteil dieser Besucherzahlen.
„Wir genießen unseren Kaffee am Schlossplatz in völliger Ruhe, während nur wenige Meter entfernt ein 1000-jähriges Schloss thront. Diese Mischung aus Grandeur und Stille findet man in Europa kaum noch.“
Sachsen-Anhalt ist reich an historischen Persönlichkeiten – während Till Eulenspiegel in Bernburg seine Spuren hinterließ, wuchs Martin Luther im nahegelegenen Mansfeld auf. Diese Konzentration historischer Figuren macht die Region zu einem wahren Schatzkästlein deutscher Geschichte.
Die Mittelalterlegende Till Eulenspiegel, dessen berühmte 22. Geschichte hier spielte, hat dem Turm seinen Namen gegeben. Im Gegensatz zu den „offiziellen“ Eulenspiegel-Städten Mölln und Kneitlingen kann Bernburg einen tatsächlichen Schauplatz der Geschichten vorweisen – den mächtigen Bergfried, der seit dem 12. Jahrhundert praktisch unverändert überdauert hat.
Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen
Der beste Zugang zum Schloss erfolgt über die Schloßstraße, wo Sie in 5 Gehminuten vom Marktplatz das Schlosstor erreichen. Parken Sie am besten auf dem kostenlosen Parkplatz „Am Karlsplatz“ – von dort sind es nur 300 Meter zu Fuß.
Besuchen Sie den Eulenspiegelturm am frühen Morgen, idealerweise zwischen 9 und 11 Uhr, wenn das Licht perfekt ist und Sie die historische Stätte fast für sich allein haben. Im Juli 2025 findet zudem der traditionelle Mittelaltermarkt statt – ein authentisches Erlebnis ohne kommerzielle Übertreibungen.
Nach dem Erkunden des Eulenspiegelturms können Sie die Region weiter entdecken und das nördlichste Weinanbaugebiet Deutschlands in Bad Kösen besuchen. Die kurze Fahrt von etwa 45 Minuten lohnt sich besonders am späten Nachmittag.
Bernburg hat auch eine Salzgeschichte zu erzählen – im Kurhaus können Sie eine Ausstellung über die frühere Salzproduktion besichtigen, die den gesamten Salzlandkreis prägte und heute weitgehend vergessen ist.
Als ich mit meiner Frau Sarah vom Eulenspiegelturm hinabsteige, verfliegt die Zeit wie im Flug. Unsere Tochter Emma ist begeistert von den Bären im Schlossgraben, während wir noch immer über die schiere Dichte historischer Bauten staunen. Bernburg ist wie ein mittelalterliches Bilderbuch, das die Zeit überdauert hat – und im Gegensatz zu seinen berühmteren Gegenstücken blättert man hier noch in völliger Ruhe. Ein deutsches Annecy, das sein Geheimnis noch bewahrt hat.