Ich bin gerade auf dem schmalen Pfad zum Dillsgraben, als das Sonnenlicht durch die Bäume bricht und den 1000 Jahre alten Erdfall-See in mysteriöses Blau taucht. Diese geologische Rarität liegt versteckt bei Bockenem, einer 9.553-Einwohner-Stadt in Niedersachsen, nur 25 km von Hildesheim und 16 km vom Harz entfernt. Was auf den ersten Blick wie ein gewöhnlicher Waldsee wirkt, ist tatsächlich einer der ältesten dokumentierten Erdfälle Deutschlands – entstanden nicht durch typische Karstprozesse, sondern durch unterirdischen Kalksteinabbau.
Der Kontrast könnte kaum größer sein: Während Touristenmassen durch Rothenburg ob der Tauber strömen, begegne ich hier nur einem älteren Ehepaar mit Wanderstöcken. Sie lächeln, als ich meinen Notizblock zücke. „Wir kommen seit 30 Jahren hierher“, sagt die Frau, „und es ist immer noch unser Geheimnis.“
Deutschlands unbekannter 1000-jähriger Erdfall-See versteckt sich in 9.500-Einwohner Stadt
Bockenem erstreckt sich über 110 Quadratkilometer – eine erstaunliche Fläche für gerade einmal 9.553 Einwohner. Diese dünne Besiedlung von nur 86 Menschen pro Quadratkilometer hat ein naturgeprägtes Gebiet bewahrt, das sonst längst überlaufen wäre.
Der Dillsgraben ist das geologische Kronjuwel der Region – ein Erdfall mit 100 Meter Durchmesser, entstanden durch eingestürztes Kalkgestein. Anders als bei typischen Erdfällen hat hier nicht Regen, sondern unterirdisches Grundwasser den Kalkstein aufgelöst. Das macht ihn zu einer wissenschaftlichen Rarität, die bedeutender ist als manche bekanntere Karstlandschaften.
Auf dem Weg zum See komme ich am historischen Hochofen in Bornum vorbei, erbaut 1783 und damit einer der ältesten erhaltenen Industriebauten Deutschlands. Er wurde erst 1982 renoviert und für Besucher zugänglich gemacht. Diese Kombination aus Industriegeschichte und Naturphänomen ist in Europa kaum zu finden – selbst in der weiteren Region mit ihren norddeutschen Weingebieten gibt es nichts Vergleichbares.
Seltener als Kroatiens Karstseen: Warum Geologen den Dillsgraben als Besonderheit einstufen
„Der Dillsgraben ist geologisch komplexer als die meisten Karstseen Kroatiens“, erklärt mir Sarah, meine Frau und Fotografin, während sie die steil abfallenden Uferwände dokumentiert. Wo Kroatiens Seen meist durch klassische Verkarstung entstehen, hat hier ein seltener Prozess im norddeutschen Flachland ein Naturphänomen geschaffen, das seit einem Jahrtausend besteht.
„Wir haben hier etwas, das jeder Geologiestudent sehen sollte, aber nur wenige kennen. In den Steilwänden steht die Erdgeschichte wie in einem aufgeschlagenen Buch.“
Die strikten Badeverbote schützen nicht nur Besucher vor den gefährlichen Steilwänden, sondern bewahren auch die einzigartige Ökologie. Dies steht im starken Kontrast zu überlaufenen Naturattraktionen, wo Massentourismus oft die Umwelt beeinträchtigt. Die Region zwischen Harz und Weserbergland beherbergt zahlreiche historische Schätze, von geologischen Wundern bis zu archäologischen Raritäten.
Im nahen Stadtarchiv entdecke ich, dass die Wilhelmshütte bis in die 1960er Jahre das wirtschaftliche Zentrum der Region war. Heute beherbergen die renovierten Industriegebäude kleine Handwerksbetriebe – ein faszinierendes Beispiel für nachhaltige Umnutzung.
Perfekter Zeitpunkt 2025: Warum Kenner jetzt die Region erkunden
Der Sommer 2025 bietet ideale Bedingungen für Erkundungen. Die Wanderwege zum Dillsgraben sind frisch instand gesetzt, und die Aussichtsplattform wurde erweitert. Parken Sie am besten am Waldrand bei Königsdahlum, wo kostenlose Stellplätze verfügbar sind.
Besuchen Sie den Dillsgraben am frühen Vormittag oder späten Nachmittag, wenn das Licht durch die Bäume dringt und das Wasser magisch beleuchtet. Die Bildungslandschaften Mitteldeutschlands machen eine Rundreise durch die Region besonders lohnenswert.
Kombinieren Sie Ihren Besuch mit einer Tour zum historischen Hochofen (geöffnet Di-So, 10-16 Uhr) und einem Spaziergang durch Bockenems Winkel-Bereich mit versteckten Fachwerkgebäuden aus dem 15. Jahrhundert. Der Lageswarte-Rundweg bietet bei gutem Wetter sogar einen Blick bis zum Brocken.
Als ich mit Emma, meiner siebenjährigen Tochter, am Rand des Dillsgrabens stehe, flüstert sie ehrfürchtig: „Der See ist älter als alle Märchen, die ich kenne.“ Dies bringt die Essenz dieses Ortes auf den Punkt. Wie die alten Linden, die seit einem Jahrtausend die Landschaft prägen, scheint hier die Zeit anders zu fließen – langsamer, bedeutungsvoller. In einer Welt voller durchgetakteter Touristenattraktionen ist Bockenems geologisches Wunder ein Ort echter Entdeckung – einer jener seltenen Plätze, die uns erlauben, die Erde mit neuen Augen zu sehen.