Der schiefe Falterturm ragt vor mir in den kobaltblauen Himmel, während ich durch die leeren Kopfsteinpflastergassen von Kitzingen schlendere. Es ist 7:30 Uhr morgens, und ich bin praktisch allein in dieser unterfränkischen Kleinstadt mit 22.936 Einwohnern, die gerade einmal 30 Kilometer östlich von Würzburg liegt. Was mich sofort fasziniert: Auf jeden 1.146 Einwohner kommt hier ein historisches Denkmal – eine der höchsten Dichten in ganz Deutschland. Sarah hatte recht, als sie nach unserer Recherche meinte, dieser Ort sei ein architektonisches Schatzkästchen, das die meisten Touristen einfach übersehen.
Das architektonische Juwel am Main mit Rekord-Denkmaldichte
Während ich den Marktplatz überquere, wird mir klar, warum Kitzingen der perfekte Gegenentwurf zu überlaufenen Zielen wie Rothenburg oder Würzburg ist. Die Stadt besitzt eine sechsmal höhere Dichte an historischen Denkmälern pro Einwohner als das berühmte Rothenburg ob der Tauber. Der Unterschied? Hier fehlen die Touristenmassen, die durch enge Gassen schieben.
Der Falterturm aus dem 15. Jahrhundert ist das berühmteste Wahrzeichen und strahlt mit seiner leichten Schieflage eine eigentümliche Anziehungskraft aus. Sein oberes Drittel neigt sich sanft zur Seite, ähnlich wie bei dem 700 Jahre alten Turm in Lich mit seinem versteckten Theater, nur dass der Falterturm eine noch ungelöste Legende birgt.
Die Alte Mainbrücke verbindet die Innenstadt mit dem gegenüberliegenden Ufer. Ursprünglich mit 12 Bögen konstruiert, wurden einige 1955 abgebrochen – ein architektonisches Detail, das die bewegte Geschichte dieser Stadt bezeugt. Von hier aus bietet sich ein Panorama über den Main, das mit dem ersten Licht des Tages besonders malerisch wirkt.
„Man kommt hierher und erwartet eine gewöhnliche Kleinstadt, aber dann steht man plötzlich vor diesen perfekt erhaltenen Gebäuden und wundert sich, warum man davon noch nie gehört hat. Es ist wie eine Filmkulisse ohne die Kameras und Touristen.“
Fränkische Weinkultur im Verborgenen erleben
Kitzingen ist das Herz der Franconia-Weinregion, aber deutlich weniger bekannt als andere deutsche Weingebiete. Während Neustadts demokratische Weinszene auf Massenerlebnisse setzt, bietet Kitzingen intimere Verkostungen, die oft in historischen Kellern stattfinden.
Die lokalen Winzer kultivieren ihre Reben an den Mainhängen, wo das durch die Flussschleife geschaffene Mikroklima ideale Bedingungen bietet. Anders als Deidesheim mit seiner 1250-jährigen Weinbautradition hat Kitzingen seinen eigenen Weg zur Weinexzellenz gefunden – weniger bekannt, aber nicht weniger beeindruckend.
Besonders bemerkenswert ist der Luitpoldbau, ein imposantes Gebäude, das ursprünglich 1914 als Solebad geplant war, heute aber die Stadtbücherei beherbergt. Seine Architektur verbindet Jugendstil mit regionalem Fachwerk – ein verstecktes Highlight, das Architekturliebhaber begeistern wird, während die meisten Besucher der Region es nie zu Gesicht bekommen.
Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen
Der beste Zeitpunkt für einen Besuch ist früh morgens oder nach 17 Uhr, wenn die wenigen Tagestouristen bereits weitergezogen sind. Parken Sie kostenlos am Mainufer und erkunden Sie die Altstadt zu Fuß – der gesamte historische Kern ist in weniger als 20 Minuten zu durchqueren.
Kitzingen reiht sich ein in die Perlen deutscher Kleinstädte wie Gengenbach mit seinen 70% denkmalgeschützten Gebäuden, bietet jedoch eine noch authentischere Erfahrung ohne inszenierte Touristenattraktionen.
Verpassen Sie nicht das Deutsche Fastnachtmuseum – das einzige seiner Art in Deutschland – und probieren Sie unbedingt ein Glas Silvaner in einem der lokalen Weinhäuser. Die fränkischen Weine werden traditionell in Bocksbeuteln serviert, flachen bauchigen Flaschen, die Sie sofort als regional erkennen lassen.
Während ich zurück über die Alte Mainbrücke schlendere, fällt mir auf, wie Emma diese Stadt lieben würde. Die Kombination aus mittelalterlicher Architektur und dem ruhigen Fluss erinnert mich an jene verborgenen Orte in Frankreich, die wir letzten Sommer entdeckten – nur dass Kitzingen näher und zugänglicher ist. Wie ein gut gehütetes Familiengeheimnis wartet diese fränkische Perle darauf, entdeckt zu werden, bevor die Welt auf sie aufmerksam wird.