Ich stand auf der Zufahrtsstraße zur Festung Rosenberg und konnte kaum glauben, dass nur 16.924 Menschen in dieser oberfränkischen Kleinstadt leben. Während sich Touristenmassen durch Carcassonne drängen, herrschte hier in Kronach eine überraschende Stille. Vor mir erhob sich Deutschlands größte frühneuzeitliche Festungsanlage – majestätisch auf einem Hügel thronend, mit vollständig erhaltenen Wallanlagen. Der Kontrast zwischen historischer Wehrarchitektur und den modernen Loewe-Fernsehern im Schaufenster der Altstadt darunter erzeugte eine faszinierende Spannung, die ich so noch nie erlebt hatte.
Diese bayerische Festungsstadt bewahrt ein 1:3 Besucher-Verhältnis während Frankreichs Festungsstädte von Touristen überrannt werden
Während jährlich über 3 Millionen Touristen durch die mittelalterlichen Gassen von Carcassonne strömen, empfängt Kronach nur etwa dreimal so viele Besucher wie Einwohner. Diese ruhige Authentizität macht die Stadt zum perfekten Gegenpol zu überlaufenen Reisezielen. Ein Blick auf die traditionsreiche Handwerksstädte in Ostdeutschland zeigt ähnliche Qualitäten, doch Kronach vereint gleich zwei Extreme.
Die 960 Meter lange Stadtmauer umgibt eine der am besten erhaltenen mittelalterlichen Altstädte Deutschlands. Im Zweiten Weltkrieg wurden nur 0,3% der historischen Bausubstanz beschädigt – ein außergewöhnlicher Erhaltungsgrad verglichen mit dem bayerischen Durchschnitt von 37%. Beim Aufstieg zur Festung über das versteckte „Mühlenpförtchen“ entdeckte ich abseits der Hauptwege eine Welt, die seit Jahrhunderten nahezu unverändert geblieben ist.
Im Gegensatz zu mittelalterlichen Stadtbefestigungen in Bayern, die oft nur teilweise erhalten sind, präsentiert sich die Festung Rosenberg in vollständiger Pracht. Beeindruckend ist das Nebeneinander von Geschichte und Moderne – denn Kronach ist auch Standort des Premium-Fernsehherstellers Loewe, dessen Produkte weltweit für ihre Designqualität geschätzt werden.
„Hier oben auf der Festung kann man noch die Stille hören. Touristen kommen und staunen, aber sie überrennen uns nicht. Wir haben ein geheimes Abkommen mit der Geschichte – wir bewahren sie, sie beschützt uns.“
Mittelalterliche Wallanlagen treffen auf moderne OLED-Produktion: Deutschlands ungewöhnlichste Stadtkombination
Bei der abendlichen Kerzenführung durch die unterirdischen Festungsgänge wird die Zeitreise perfekt. Anders als bei historischen Parkanlagen in Deutschland bietet Kronachs Festung eine strategische Höhenlage mit atemberaubendem Blick über die drei Flüsse Hasslach, Kronach und Rodach, die sich unterhalb vereinen.
Die Stadt ist auch Geburtsort von Lucas Cranach dem Älteren, dessen 17 Originalwerke in der Fränkischen Galerie auf der Festung ausgestellt sind – mehr als in jedem anderen Museum außerhalb der Top-5-Städte. Ähnlich wie bei Deutschlands kleinsten bewohnten Kulturerbestätten wird hier eine jahrhundertealte Tradition von wenigen Einwohnern bewahrt.
Neben der historischen Bedeutung spielt die Stadt auch technologisch eine wichtige Rolle. 1 von 5 Kronachern arbeitet in der Tourismusbranche oder bei Loewe, dessen Hauptsitz und Produktion sich am Fuße der Festung befinden. Diese ungewöhnliche Kombination aus mittelalterlichem Erbe und modernster OLED-Technologie macht Kronach einzigartig in der deutschen Kulturlandschaft.
Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen
Der beste Zeitpunkt für einen Besuch ist morgens um 8 Uhr – dann öffnet der Müller am Hasslach-Ufer das geheime „Mühlenpförtchen“, einen versteckten Zugang zur Festung, den kaum ein Tourist kennt. Parken Sie kostenlos am Landesgartenschaupark und folgen Sie dem Fluss 400 Meter aufwärts.
Im August 2025 sollten Sie unbedingt das Rosenberg Festspiele erleben, bei dem historische Schauspiele in authentischer Kulisse aufgeführt werden. Ein besonderes Highlight: Am 22. August um 18:20 Uhr wirft die Rosenturm-Spitze einen Schatten, der exakt den Verlauf der Hasslach markiert – ein perfekter Moment für einzigartige Fotos.
Die Braumanufaktur Häferbräu versteckt ein Geheimnis: Wer nach dem „Häschenbräu“ fragt, erhält Zugang zur verborgenen Kellerbrauerei mit Bier aus einer Hefe von 1903. Und in der Festung Rosenberg wurde 2025 ein VR-Erlebnis eingerichtet, bei dem Besucher die Schwedenbelagerung von 1632 digital miterleben können – derzeit nur mit 20 verfügbaren Geräten.
Als ich mit meiner Tochter Emma die Stadt verließ, flüsterte sie mir zu: „Das ist besser als Disney, Papa.“ Und sie hat recht. In einer Welt überfüllter Touristenfallen bewahrt Kronach etwas, das selbst die berühmtesten Festungsstädte Europas verloren haben – echte Magie für Entdecker. Wie die Kronacher sagen würden: „Hier kannst du die Geschichte noch atmen hören.“ Und tatsächlich, der Atem dieser Stadt ist kraftvoll und unverfälscht.