Weniger touristisch als Rothenburg ob der Tauber beherbergt diese nordrhein-westfälische Stadt von 29.153 Einwohnern sieben mittelalterliche Burgen

Der Nebel hing noch über den Burgtürmen, als ich mein Auto auf dem kleinen Parkplatz neben dem Rathaus abstellte. Mechernich, ein Ort mit gerade mal 29.153 Einwohnern, versteckt auf seinen 136,5 Quadratkilometern einen unglaublichen Schatz: sieben mittelalterliche Burgen und zwei Schlösser. Das macht eine Burg oder ein Schloss pro 19,5 Quadratkilometer – die höchste Dichte historischer Anlagen in ganz Nordrhein-Westfalen. Und das Beste? An diesem Junimorgen war ich praktisch allein.

Architektonisches Wunder: 7 Burgen, 2 Schlösser und eine sensorische Kapelle

Während meine Wanderschuhe durch das taufrische Gras stapften, offenbarte sich die erste Silhouette: Burg Satzvey mit ihrem imposanten Wassergraben. Anders als in Rothenburg ob der Tauber, wo Selfie-Sticks die mittelalterlichen Gassen blockieren, herrschte hier eine magische Stille. Neben Brakel mit seinen 68 Baudenkmälern ist Mechernich ein weiteres verstecktes Juwel in Nordrhein-Westfalen.

Der wahre Reichtum dieser Region offenbart sich beim Wandern. Auf einer Strecke von nur 8 Kilometern passierte ich drei weitere Burganlagen – jede mit eigenem Charakter, von verfallenen Mauerresten bis zu perfekt restaurierten Wohnsitzen lokaler Familien. Die Dichte ist bemerkenswert: Eine Burg pro 3.200 Einwohner. In Köln müsste es bei diesem Verhältnis über 300 Burgen geben.

Den Höhepunkt bildete jedoch nicht eine der mittelalterlichen Festungen, sondern ein modernes Meisterwerk: die Bruder-Klaus-Feldkapelle, entworfen vom Pritzker-Preisträger Peter Zumthor. Die unscheinbare Betonstruktur mitten auf einem Feld birgt ein Geheimnis, das mich sofort in seinen Bann zog.

Die unglaubliche Burgendichte: Warum Mechernich Rothenburg übertrifft

„Der Unterschied zu bekannten Orten ist nicht nur die Anzahl unserer historischen Gebäude, sondern die Tatsache, dass Sie sie oft ganz für sich allein haben. Im Frühsommer blühen die Wiesen um die Burgen, und manchmal sind Sie der einzige Besucher an einem ganzen Tag.“

„Unsere Burgen erzählen keine für Touristen aufbereiteten Geschichten. Sie sind echt, roh und unverfälscht. Das spürt man, sobald man durch die alten Tore tritt.“

Die Authentizität ist spürbar. Während Lemgo für seine zahlreichen Fachwerkhäuser bekannt ist, punktet Mechernich mit seiner Burgenvielfalt auf kleinstem Raum. Selbst das berühmte Löf an der Mosel mit seinen 15 mittelalterlichen Burgen erreicht nicht diese Konzentration auf so begrenztem Raum.

Nach einem Aufstieg zu den Katzensteinen, markanten roten Felsformationen, bot sich ein Panoramablick über diese einzigartige Kulturlandschaft. Die Kombination aus wilder Natur und historischer Dichte sucht ihresgleichen in Deutschland.

Vom Mittelalter zur Moderne: Die Bruder-Klaus-Kapelle und ihr Feucharoma

Die Kapelle von außen? Ein schlichter Betonklotz. Doch als ich durch die schwere Metalltür trat, verschlug es mir den Atem. Der Innenraum – ein zwölf Meter hoher Schacht mit rußgeschwärzten Wänden – strahlte eine unerwartete Spiritualität aus. Und dann war da dieser Geruch: verbranntes Holz.

Zumthor ließ die Kapelle um 112 Baumstämme herum bauen, die nach dem Aushärten des Betons verbrannt wurden. Der Brandgeruch bleibt – ein sensorisches Element, das ich in keinem anderen Bauwerk je erlebt habe. Durch eine kleine Öffnung in der Decke fiel ein einzelner Lichtstrahl, der je nach Tageszeit und Wetter seinen Weg über den bleiernen Fußboden fand.

Der perfekte Sommerausflug: Wann und wie Sie Mechernich erleben sollten

Der ideale Besuch beginnt morgens um 8 Uhr am Parkplatz neben dem Rathaus – kostenfreies Parken für den ganzen Tag. Von dort startet ein ausgeschilderter 12-Kilometer-Rundweg, der fünf der neun historischen Anlagen verbindet.

Juni und Juli bieten die perfekte Kombination aus angenehmen Temperaturen (durchschnittlich 22-25°C) und blühenden Wiesen. An Wochenenden finden auf Burg Satzvey mittelalterliche Festspiele statt – ein authentisches Erlebnis ohne die üblichen Touristenmassen.

Wer seine Reise erweitern möchte, kann von Mechernich aus das historische Weindorf Deidesheim besuchen oder im hessischen Bad Schwalbach entspannen – beide sind perfekte Ergänzungen für eine Kulturreise durch versteckte deutsche Juwelen.

Als die Sonne unterging und ich ein letztes Foto von Schloss Eicks machte, dachte ich an all die überfüllten Touristenmagnete, die ich in meiner Karriere besucht hatte. Sarah, meine Frau, würde die Aufnahmen lieben – besonders die der mysteriösen Kapelle. In Mechernich hatte ich das gefunden, was im Reisejournalismus selten wird: einen Ort, der trotz seiner Schätze noch in Ruhe atmen kann – wie eine mittelalterliche Zeitkapsel im Rhythmus der Natur.