Weniger touristisch als Quedlinburg beherbergt diese nordrhein-westfälische Stadt von 42.274 Einwohnern Europas vergessenes Keramik-Erbe

Ich stehe auf dem Michaelsberg, der wie ein kleiner Vulkan aus dem Rheintal hervorragt. Unter mir breitet sich Siegburg aus – eine 42.274-Einwohner Stadt, die sich zwischen dem mächtigen Köln (25 km entfernt) und dem politischen Bonn (15 km nordöstlich) behauptet. Die Morgensonne taucht die mittelalterliche Silhouette in goldenes Licht. Was von weitem wie eine typische rheinische Kleinstadt wirkt, offenbart beim Näherkommen seine verborgene kulturelle Supermacht: Siegburg wird im Sommer 2025 zum unerwarteten Epizentrum europäischer Orgelmusik.

Sommer 2025: 42.274 Einwohner empfangen internationalen Musikadel

Während bekannte Musikfestivals wie Bayreuth im Sommer 2025 Renovierungspausen einlegen, bereitet sich diese bescheidene nordrhein-westfälische Stadt auf einen kulturellen Höhepunkt vor. Der Internationale Siegburger Orgelzyklus wird fünf Weltklasse-Konzerte in der historischen St.-Servatius-Kirche präsentieren.

Die Zahlen erzeugen Staunen: Eine Stadt mit weniger Einwohnern als ein durchschnittliches Kölner Stadtviertel zieht Orgelvirtuosen aus Japan, den USA und ganz Europa an. Diese Kulturperle reiht sich damit ein in die Tradition deutscher Kleinstädte mit überraschenden Spezialisierungen, wie auch dieses fränkische Dorf mit außergewöhnlicher Weintradition.

„Es ist absurd und wunderbar zugleich“, erzählt mir Sarah (meine Frau und Fotografin) beim Frühstück in unserem kleinen Hotel am Marktplatz. „Von unserem Fenster aus sehen wir die Kirche, in der morgen ein japanischer Orgelmeister spielt, den man in Tokio kaum ohne Monate Vorausbuchung erleben könnte.“

Die Klais-Orgel: Ein verstecktes Klangwunder in rheinischer Kleinstadt

Das Geheimnis hinter Siegburgs musikalischer Bedeutung ist die Klais-Orgel in der St.-Servatius-Kirche – ein majestätisches Instrument, das Kenner in Ehrfurcht versetzt. Die Orgelmanufaktur Klais, nur 30 Minuten entfernt in Bonn ansässig, hat hier eines ihrer Meisterwerke installiert.

Die Klais-Orgel steht in einer langen deutschen Musiktradition, die bis zu Bachs musikalischen Wurzeln in Thüringen zurückreicht. Was Besucher überrascht: Die Akustik der Kirche aus dem 12. Jahrhundert wurde unbeabsichtigt perfekt für Orgelmusik konzipiert.

„Wenn die ersten Töne erklingen, vergisst man sofort, in einer Kleinstadt zu sein. Der Klang füllt nicht nur den Raum, sondern auch die Seele. Es ist, als würde die tausendjährige Geschichte des Ortes durch Musik lebendig.“

Die Klais-Orgel verfügt über 3.600 Pfeifen und 54 Register – eine technische Meisterleistung, die in dieser Größenordnung normalerweise nur in Kathedralen großer Städte zu finden ist. Und doch steht sie hier, in einer Stadt, deren Name viele Deutsche kaum richtig aussprechen können.

Warum Siegburg der geheime Musikkontrast zu Bayreuth werden könnte

Der Vergleich ist gewagt, aber nicht unbegründet. Während Siegburgs Orgelschätze überraschen, bietet auch Nordhessens verborgene Barockpracht unerwartete kulturelle Höhepunkte. Doch Siegburg hat einen entscheidenden Vorteil: Authentizität ohne Massentourismus.

Statt stundenlanger Warteschlangen und überteuerten Hotels wie in bekannten Kulturzentren bietet Siegburg ein entspanntes Kulturerlebnis. Der Eintritt zu den Orgelkonzerten kostet zwischen 15 und 28 Euro – ein Bruchteil dessen, was man in München oder Hamburg zahlen würde.

Neben der Musik überrascht Siegburg mit einem weiteren kulturellen Erbe: Als ehemaliges europäisches Keramikzentrum ist die Stadt seit dem Mittelalter bekannt. Diese Tradition lebt im jährlichen Internationalen Keramikmarkt weiter, der am 12. und 13. Juli 2025 stattfindet – perfekt getimed für Besucher der Orgelkonzerte.

Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen

Der beste Zugang zur Stadt erfolgt über den Bahnhof Siegburg/Bonn, der direkt vom ICE angefahren wird. Von dort sind es nur 7 Gehminuten zum historischen Marktplatz. Besuchen Sie die Konzerte am frühen Abend, wenn die Abendsonne durch die gotischen Kirchenfenster fällt und das Klangerlebnis verstärkt.

Mein persönlicher Tipp: Steigen Sie morgens um 7 Uhr den Michaelsberg hinauf. Der Blick über die Stadt bis zum Siebengebirge bei Morgennebel ist magisch – meine Tochter Emma nannte es „wie in einem Drachenmärchen“.

Während Siegburg für Keramik und Orgelmusik bekannt ist, pflegt das pfälzische Weindorf mit Jahrhundertetradition sein eigenes kulturelles Erbe. Beide Orte zeigen, dass kulturelle Größe nicht von Einwohnerzahlen abhängt.

Als ich am letzten Tag noch einmal den Michaelsberg erklimme, wird mir klar: Siegburg ist wie die Klais-Orgel selbst – unscheinbar von außen, aber mit einer inneren Komplexität und Klangfülle, die jeden überrascht, der sich die Zeit nimmt, genauer hinzuhören. Besuchen Sie es, bevor der Rest der Musikwelt dieses Geheimnis im Sommer 2025 entdeckt.