Weniger touristisch als Meißen beherbergt dieser 18.579 Einwohner Ort Deutschlands größten Barockgarten seit 1728

Ich stehe am Schlosstor des Barockgartens Zabeltitz, umgeben von kunstvoll gestutzten Hecken und symmetrischen Wasserflächen. Mit nur 140 Einwohnern pro Quadratkilometer und einer Gesamtfläche von 130,23 km² bietet Großenhain etwas in Deutschland zunehmend Seltenes: Raum zum Atmen. Diese sächsische Stadt beherbergt nicht nur einen der größten französischen Barockgärten Deutschlands, sondern auch das erstaunliche Erbe der ersten Volksbücherei des Landes seit 1828. Während Dresden-Touristen sich durch enge Gassen zwängen, genieße ich hier die herrliche Leere.

18.579 Einwohner auf 130 km²: Deutschlands luftigste Kulturstadt

Großenhain zählt zu den ältesten Städten Sachsens, doch mit nur 18.579 Einwohnern auf einer weitläufigen Fläche wirkt sie wie eine grüne Oase. Der Kontrast könnte kaum größer sein zu Städten wie dem badischen Weinort Durbach, der zwar ebenfalls kulturell bedeutsam ist, aber deutlich kompakter.

Im historischen Stadtkern schlendern Emma und ich zur Marienkirche, deren T-förmiger Grundriss sie zu einer der originellsten Barockkirchen Sachsens macht. Die Betstuben mit ihren kleinen Öfen – ein architektonisches Unikum – zeugen vom Wohlstand vergangener Tage.

„Die Kirche ist besonders, weil sie private Heizöfen hatte. Im Winter konnten wohlhabende Familien hier warm beten, während andere froren“, erzählt mir ein älterer Herr, der gerade die Kirchentür abschließt. 1746 fertiggestellt, verbindet sie sakrale Würde mit pragmatischem Komfort.

Frankreichs Gartenkunst trifft sächsische Geschichte

Der Barockgarten Zabeltitz ist das unbestrittene Highlight – ein verstecktes sächsisches Versailles, das in seiner Pracht an französische Königsgärten erinnert. Mit 30 Hektar Fläche zählt er zu den größten französischen Gartenanlagen Sachsens. Während Halberstadt mit dem längsten Musikstück der Welt Kulturgeschichte auf andere Weise schreibt, trumpft Großenhain mit landschaftlicher Eleganz.

Im angrenzenden Bauernmuseum Zabeltitz werden traditionelle Handwerke und ländliche Lebensweisen dokumentiert. Hier erfahre ich, dass die Region einst Grenzgebiet zwischen Sachsen und Preußen war. Die 200-jährigen Grenzsteine im nahen Schradengebiet zeugen noch heute vom Wiener Kongress 1815.

„Ich lebe seit 40 Jahren hier und entdecke immer noch versteckte Winkel im Barockgarten. Die meisten Besucher verbringen maximal eine Stunde hier, verpassen aber die wahre Magie, die sich erst nach Sonnenuntergang entfaltet, wenn die Wasserspiele im Abendlicht glitzern.“

Sachsens Kulturlandschaft reicht von Großenhains Gartenkunst bis zu Plauens weltberühmten Spitzenwerkstätten – beides Zeugnisse regionaler Exzellenz, doch Großenhain bleibt ein Geheimtipp.

Die erste Volksbücherei Deutschlands: Karl Preuskers Vermächtnis

Im Kulturschloss, einem ehemaligen Industriegelände, das 2002 restauriert wurde, begegne ich Karl Benjamin Preuskers Erbe. Als Begründer der ersten deutschen Volksbücherei setzte er 1828 einen Meilenstein in der deutschen Bildungsgeschichte.

Die Karl-Preusker-Bücherei gilt als Pionier der Volksbildung und ist bis heute aktiv. Sarah fotografiert begeistert die historischen Bände, während ich über die Foresight nachdenke: Lange vor öffentlichen Bibliothekssystemen schuf Preusker hier einen Ort des freien Wissens.

Mit 15.000 historischen Bänden und einer der ältesten urgeschichtlichen Sammlungen Sachsens repräsentiert das Museum mehr als nur Bücher – es verkörpert demokratischen Zugang zu Bildung. Der Eintritt beträgt übrigens nur 4,50 €, ein Schnäppchen für so viel Geschichte.

Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen

Besuchen Sie Großenhain am besten frühmorgens oder zum Sonnenuntergang, wenn die Barockgärten in magischem Licht erstrahlen. Parken Sie kostenlos am Kulturschloss und spazieren Sie von dort durch die Altstadt.

Das Sommerfest vom 20.-22. Juni 2025 bietet live Musik und Familienaktionen – ideal für Besucher mit Kindern. Das NaturErlebnisBad kombiniert dann historisches Ambiente mit Sommererfrischung.

Großenhains einzigartige Mischung aus Weite und Kultur macht die Stadt zu einem perfekten Ausflugsziel für Dresden-Besucher, die dem Trubel entfliehen möchten. Eine sanfte Alternative zum hektischen Stadttourismus – wie eine ruhige Buchseite in Preuskers erster Bibliothek, die darauf wartet, entdeckt zu werden.

Während Emma durch die weitläufigen Gärten rennt, wird mir klar: In einer Zeit, in der Destinationen durch Instagrammability bewertet werden, bleibt Großenhain authentisch. Die Stadt scheint zu flüstern: „Ich brauche keine Filter – nur Zeit, um mich wirklich kennenzulernen.“ Eine Botschaft, die in der heutigen Reisewelt selten geworden ist.