Der erste Blick über den glitzernden Schulsee in Richtung Mölln bringt mich zum Staunen. Trotz meines Reisetagebuchs mit über 65 Ländern, bleibt mir manchmal der Atem weg. Hier stehe ich, gerade 50 Kilometer östlich von Hamburg entfernt, in einer mittelalterlichen Zeitkapsel mit 19.566 Einwohnern, die sich 11 Seen teilen – das macht einen See pro 1.778 Bewohner, eine der höchsten Seen-pro-Kopf-Raten Deutschlands.
Was mich wirklich verblüfft: Während Hamburg mit Touristen überfüllt ist, scheint die Zeit in Mölln stillzustehen. Vor mir erhebt sich ein 652 Jahre altes Rathaus, dessen Fachwerk sich im Wasser spiegelt, während ein Mann in mittelalterlicher Narrentracht grinsend durch die Gassen streift.
Die Stadt, wo Till Eulenspiegel lebt und 11 Seen glitzern
„Seid gegrüßt!“, ruft mir der Narr zu. Dies ist kein gewöhnlicher Straßenkünstler, sondern Möllns offizieller Till Eulenspiegel-Darsteller, der die Legende des berühmtesten Schalks Deutschlands lebendig hält. Laut Überlieferung starb Till 1350 hier und sein Grabstein zieht bis heute Besucher an.
Ich folge dem schmalen Kopfsteinpflasterweg vom Marktplatz zum Kurpark – ein 40.000 Quadratmeter grünes Juwel inmitten der Stadt. Der Park wurde kürzlich komplett renoviert und bietet mehrere Themengärten, von denen der Rosengarten gerade in herbstlicher Farbenpracht steht.
Während ich über die Altstadtbrücke spaziere, beginne ich zu verstehen, warum Mölln einzigartig ist. Die Stadt vereint den mittelalterlichen Charme von Sondershausen in Thüringen mit dem Vorteil, von 11 Seen umgeben zu sein.
Norddeutschlands Rothenburg, aber mit Seen statt Menschenmassen
„Die Hamburger nennen es ihre geheime Auszeit,“ erklärt mir ein Café-Besitzer, während er frisch gebrühten Kaffee serviert. „An Wochenenden kommen sie her, um dem Trubel zu entfliehen, aber die internationalen Touristen entdecken uns selten.“
„Hier können Sie noch durch mittelalterliche Gassen wandern und haben sie meist für sich allein. Wenn Sie durch unsere Stadt gehen, treffen Sie auf echtes Leben, keine Touristenfassaden. Und nach dem Stadtbummel warten elf Seen auf Sie – wie viele historische Städte können das schon bieten?“
Während Bleckede in Niedersachsen mit seinem Biosphärenreservat Naturliebhaber anzieht, beeindruckt Mölln mit seiner perfekten Balance aus Geschichte und Natur. Die historische St. Nicolai-Kirche aus dem 13. Jahrhundert überragt die Stadt, während sich im Wasser die Fachwerkgebäude spiegeln.
Ein weiteres Highlight: der Stecknitzkanal von 1398, eine der ersten künstlichen Wasserstraßen Norddeutschlands. Ähnlich wie Lehde im Spreewald hat Mölln eine tiefe Verbindung zum Wasser, die seine Entwicklung prägte.
Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen
Der beste Zeitpunkt für einen Besuch in Mölln ist definitiv der Herbst. Die Laubfärbung rund um die Seen schafft eine magische Kulisse, und der Kurpark ist bis 21:45 Uhr geöffnet. Parken können Sie kostenlos am Wasserturm, nur 5 Gehminuten vom Marktplatz entfernt.
Verpassen Sie nicht das versteckte Heilig-Geist-Hospital an der Ecke Seestraße/Grubenstraße, wo Till Eulenspiegel angeblich seine letzten Tage verbrachte. Es ist täglich von 10:00 bis 18:00 Uhr geöffnet und bietet einen authentischen Einblick in mittelalterliche Spitalkultur.
Ein weiterer Insider-Tipp: Die Bootsfahrten auf dem Schulsee starten stündlich von 9:00 bis 17:00 Uhr und kosten nur 8€ pro Person. Von hier aus sehen Sie die mittelalterliche Silhouette der Stadt in ihrer ganzen Pracht.
Für Wellnessliebhaber gibt es im Kurpark einen Kneipp-Bereich mit Wassertreten – eine kostenlose Erfrischung nach dem Stadtrundgang. Einheimische schwören auf die belebende Wirkung, besonders im Herbst.
Während ich mit meiner Kamera die letzten Sonnenreflexionen auf dem Schulsee einfange, denke ich an die vielen Instagram-würdigen Orte, die ich meiner Frau Sarah zeigen möchte, wenn sie mich auf meiner nächsten Reise begleitet. Mölln ist wie ein unentdecktes Kapitel in einem Buch, das man eigentlich zu kennen glaubte – ein perfekt erhaltener mittelalterlicher Mikrokosmos, umspült von Seen und Geschichten eines Narren, dessen Weisheit in der Torheit lag.