Die Morgensonne glänzt auf dem Wasser als ich die Insel betrete, die von vier klaren Seen umschlossen wird. Hier liegt Ratzeburg, eine kleine Stadt mit nur 14.550 Einwohnern, aber einem wahren Schatz, den selbst viele Deutsche übersehen. Während Touristenbusse ins 23 Kilometer entfernte Lübeck strömen, entdecke ich hier den besterhaltenen romanischen Dom Norddeutschlands – ursprünglicher und authentischer als die oft überrestaurierten Kirchen der bekannten Hansestädte.
Die romanische Insel zwischen vier Seen: Ein 900 Jahre altes Wunder im 14.000-Einwohner-Städtchen
Ratzeburg ist keine gewöhnliche Kleinstadt. Sie liegt auf einer Insel, die komplett von Seen umgeben ist – eine Seltenheit in Deutschland. Die Region um Ratzeburg trägt, ähnlich wie manche sächsische Gebiete mit ihrer lebendigen slawischen Kultur, noch Spuren der wendischen Vergangenheit.
Der Ratzeburger Dom ist nicht nur alt – er stammt aus den Jahren 1154-1220 – sondern auch erstaunlich original. Während viele mittelalterliche Kirchen über die Jahrhunderte umgebaut wurden, blieb dieser romanische Backsteinbau nahezu unverändert. Er zählt zu den vier berühmten „Löwendomen“ Norddeutschlands, benannt nach Heinrich dem Löwen.
Am beeindruckendsten: Auf der nur 30,3 Quadratkilometer großen Stadtfläche stehen zahlreiche historische Gebäude – 30-40% aller Bauwerke der Stadt haben Denkmalschutzstatus. Diese Dichte an Geschichte auf so engem Raum ist selbst für Deutschland außergewöhnlich.
Lübeck vs. Ratzeburg: Der überraschende Kontrast zwischen gotischen Massen und romanischer Ruhe
Während Lübeck mit seinen berühmten 90 mittelalterlichen Geheimgängen jährlich Millionen Touristen anzieht, empfängt Ratzeburg seine Besucher mit ruhiger Gelassenheit. Lübecks gotische Bauwerke wurden vielfach restauriert, umgebaut oder sogar neu aufgebaut – in Ratzeburg dagegen steht der Dom seit über 800 Jahren nahezu unverändert.
„Hier kann man noch die Stille spüren, die die Baumeister vor Jahrhunderten geschaffen haben. Wenn das Morgenlicht durch die originalen romanischen Fenster fällt, ist es, als würde die Zeit stillstehen. Diese Atmosphäre findet man in den touristischen Hochburgen längst nicht mehr.“
Besonders faszinierend ist der Kreuzgang des Doms – einer der ältesten in Norddeutschland – mit seinen original erhaltenen romanischen Fenstern. Der Heinrichstein von 1166 mit seiner lateinischen Inschrift erinnert an Heinrich den Löwen, den Stifter der Kirche.
Während andere Orte in Schleswig-Holstein mit mittelalterlichen Holzburgen überraschen, setzt Ratzeburg auf Backsteinromanik der höchsten Qualität. Der Vergleich mit Mont-Saint-Michel in Frankreich ist nicht weit hergeholt – beide sind von Wasser umgebene historische Juwelen, doch Ratzeburg ohne die erdrückenden Touristenmassen.
Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen
Der beste Zugang zur Inselstadt erfolgt über die Domhalbinsel, wo Sie in der Nähe des Doms parken können. Besuchen Sie den Dom am frühen Morgen (ab 9 Uhr), wenn das Licht durch die romanischen Fenster am schönsten ist und Sie noch fast alleine sind.
Anders als in den großen Wasserverkehrszentren Schleswig-Holsteins, wo täglich Ozeanriesen passieren, bietet Ratzeburg ruhige Bootstouren auf seinen vier umgebenden Seen. Die „Große-2-Seen-Fahrt“ führt Sie durch das UNESCO-Biosphärenreservat Schaalsee – ein Erlebnis, das selbst viele Einheimische aus der Region noch nicht hatten.
Ein lokales Geheimnis: Im „Café Bischofsherberge“ am Domhof servieren sie selbstgebackene Torten mit Obst aus der Region. Setzen Sie sich auf die Terrasse mit Blick auf den Dom – ein Genuss, den Sie in keinem Reiseführer finden.
Der perfekte Moment für einen Besuch
Im Sommer 2025 erlebt Ratzeburg eine besondere Zeit. Die Feierlichkeiten zum 900-jährigen Domjubiläum halten noch an, mit Sonderführungen und Ausstellungen. Das traditionelle Domfest, das normalerweise im Juni/Juli stattfindet, bietet Konzerte, Theater und einen Markt auf der Insel.
Als ich mit meiner Frau Sarah über den Domhof schlendere, bemerke ich, wie das Wasser rund um die Insel das Licht reflektiert und die Stadt in eine besondere Atmosphäre taucht. Diese Verbindung von Wasser, Geschichte und Ruhe erinnert mich an kleine venezianische Inseln, doch ohne den Trubel und die Preise der Lagunenstadt.
Ratzeburg ist wie ein gut gehütetes Geheimnis unter den Einheimischen – ein Ort, an dem die Zeit langsamer zu vergehen scheint und wo die Geschichte nicht hinter Souvenirläden und Touristenmassen verschwindet. In einer Welt voller überlaufener Sehenswürdigkeiten bleibt diese Inselstadt ein Refugium authentischer deutscher Kultur und Architektur.