Weniger touristisch als Kiel, diese schleswig-holsteinische 30.723-Einwohner-Stadt beherbergt eine der 8 letzten Schwebefähren weltweit

Die Morgensonne spiegelt sich im ruhigen Wasser, als ich mit der schwebenden Fähre den Nord-Ostsee-Kanal überquere. Unter mir gleitet ein massiver Containerfrachter vorbei, während ich in der Luft hänge – 8 Meter über dem meistbefahrenen künstlichen Wasserweg der Welt. Willkommen in Rendsburg, einer 30.723-Einwohner Stadt in Schleswig-Holstein, die eines der seltensten technischen Wunder Europas beherbergt: eine von nur acht verbliebenen Schwebefähren weltweit.

Die Kombination aus majestätischer 2,5 Kilometer langer Eisenbahnhochbrücke und darunter hängender Schwebefähre wirkt wie ein gigantisches Metallkunstwerk über dem Kanal. Seit 1913 schwebt diese Transportinnovation täglich zwischen den Ufern – ein Ingenieurswunder, das selbst meinen durch jahrelange Weltreisen verwöhnten Blick in Erstaunen versetzt.

Die schwebende Sensation: Ein Technikjuwel von Weltrang

Die Rendsburger Schwebefähre ist keine gewöhnliche Touristenattraktion. Als technisches Kulturdenkmal überquert sie den Kanal 365 Tage im Jahr und transportiert täglich Hunderte Passagiere, Fahrräder und sogar Autos zwischen den Stadtteilen. Während Greifswalds handgezogene Klappbrücke durch Muskelkraft bewegt wird, schwebt Rendsburgs Fähre durch präzise Ingenieurskunst.

Die 42 Meter über dem Wasser thronende Hochbrücke bildet mit der Schwebefähre eine faszinierende Symbiose aus Vergangenheit und Gegenwart. Dabei passieren jährlich über 30.000 Schiffe diese Wasserstraße – vom kleinen Segelboot bis zum gigantischen Kreuzfahrtschiff.

Der Blick von der Aussichtsplattform der Brücke ist atemberaubend. An klaren Tagen kann man bis zur 20 Kilometer entfernten Ostsee sehen, während unter einem die gewaltigen Schiffe wie Spielzeuge erscheinen.

Maritimes Erbe trifft mittelalterliches Kleinod

Anders als das überlaufene Kiel mit seinen Kreuzfahrtterminals bietet Rendsburg authentische norddeutsche Atmosphäre. Die mittelalterliche Altstadt mit ihren engen Gassen und dem Alten Rathaus aus dem 16. Jahrhundert liegt nur einen kurzen Spaziergang von diesem Technikwunder entfernt.

„Man kommt für die Schwebefähre, bleibt aber wegen der unerwarteten Schönheit der Altstadt. Der Kontrast zwischen massiver Stahlkonstruktion und den feinen mittelalterlichen Giebelhäusern ist einzigartig in Deutschland.“

Alle zwei Stunden erklingt das Glockenspiel am Alten Rathaus und erfüllt die Luft mit norddeutschen Volksmelodien. Im Kulturzentrum entdeckte ich das faszinierende Druckmuseum, das lokale Handwerkstraditionen dokumentiert – während Meldorf sein einzigartiges Löffelmuseum feiert, bewahrt Rendsburg seine Druckkunst mit gleicher Hingabe.

Ein weiteres Highlight ist die 575,75 Meter lange Sitzbank am Kanalufer – die längste ihrer Art weltweit. Hier lassen Einheimische und Besucher die Beine baumeln, während sie die vorbeifahrenden Giganten der Meere beobachten. Ein perfekter Ort, um meiner Frau Sarah Fotos für ihr nächstes Maritim-Portfolio zu schießen.

Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen

Der beste Zeitpunkt für einen Besuch ist Anfang Juli 2025. Dann findet nicht nur der beliebte Sommermarkt (4.-7. Juli) statt, sondern auch der SHMF-Festivaltag am 5. Juli mit klassischen Konzerten. Der Blick von der Hochbrücke ist bei Sonnenuntergang am spektakulärsten – gegen 21:30 Uhr im Hochsommer.

Parken Sie kostenlos am Paradeplatz und erkunden Sie die Stadt zu Fuß. Die Schwebefähre verkehrt täglich von 5:30 bis 23:00 Uhr, kostet nur 2 Euro pro Person und bietet das authentischste Rendsburg-Erlebnis. Während Flensburg für seine Schmuggler-Geschichte berühmt ist, verbirgt Rendsburg seine Schätze in technischen Meisterleistungen.

Für besondere Einblicke buchen Sie eine Nachtwächter-Tour durch die Altstadt (jeden Freitag um 20:00 Uhr) oder die Hochbrückenführung (samstags um 14:00 Uhr, Voranmeldung erforderlich).

Nach fünf Kontinenten und hunderten versteckten Juwelen bleibt Rendsburg für mich eine der faszinierendsten Entdeckungen in Europa. Als meine siebenjährige Tochter Emma auf der Schwebefähre stand und flüsterte „Papa, wir fliegen über Wasser!“, erfasste sie perfekt die Magie dieses Ortes. Rendsburg ist wie ein gut gehütetes Familiengeheimnis – nicht laut genug, um die Massen anzulocken, aber reich genug, um die Seele eines Reisenden zu berühren.