Weniger touristisch als die Wartburg versteckt diese Sachsen-Anhalt Kleinstadt von 10.000 Einwohnern eine siebenmal größere Burg

Die Sonne scheint golden auf die massiven Mauern, als ich die erste Kurve der Serpentinenstraße nach Querfurt nehme. Nach drei Tagen in Eisenach mit 400.000 Jahresbesuchern an der Wartburg ist der Kontrast verblüffend. Hier, nur 180 Kilometer östlich, erhebt sich ein kolossales mittelalterliches Bauwerk über einer Kleinstadt mit gerade mal 10.000 Einwohnern. Was mir zunächst ins Auge sticht: Diese Burg ist gewaltig – tatsächlich siebenmal größer als die weltberühmte Wartburg. Ein monumentales Geheimnis, versteckt in Sachsen-Anhalts sanften Hügeln.

Eine Festung, sieben Wartburgen groß – Querfurts verblüffendes Größenverhältnis

Die Zahlen sind beeindruckend. Mit einer Gesamtfläche von etwa 3,5 Hektar übertrifft die Burg Querfurt die UNESCO-geschützte Wartburg um das Siebenfache. Der imposante Bergfried, liebevoll „Dicker Heinrich“ genannt, ragt 27 Meter in die Höhe und misst 14,5 Meter im Durchmesser – ein massives Bauwerk aus dem 12. Jahrhundert.

Während ich über das Kopfsteinpflaster der Vorburg schreite, wird das extreme Missverhältnis deutlich spürbar. Diese Anlage könnte theoretisch 1.600 Menschen beherbergen – fast ein Sechstel der heutigen Stadtbevölkerung. „Die Größe dieser Festung macht sie zu einer der bedeutendsten mittelalterlichen Burganlagen in Deutschland, ähnlich wie bei der architektonischen Vielfalt in Detmold, nur konzentrierter“, erklärt mir der Burgführer.

Die doppelten Ringmauern – innen romanisch, außen gotisch – erzählen von kontinuierlichen Erweiterungen über Jahrhunderte. Drei markante Türme überragen das Ensemble: der „Marterturm„, der „Pariser Turm“ und natürlich der „Dicke Heinrich“. Jeder einzelne ein Zeuge vergangener Machtkämpfe, als die Burg erst Residenz der Herzöge von Sachsen-Weißenfels und später preußisches Staatsgut war.

Verstecktes Paradox: Filmkulisse, Weinberg und mittelalterliches Erbe

Was diese Burganlage besonders macht, ist ihre Mehrdimensionalität. Während Bernburg mit seiner mittelalterlichen Architektur beeindruckt, bietet Querfurt ein überraschendes kulturelles Potpourri.

„Wenn ich morgens über den Marktplatz gehe, passiere ich Ackerbürgerhäuser aus dem Barock, trinke mittags Wein vom Klosterweinberg und schaue abends Filme an denselben Mauern, wo Til Schweiger einst für ‚Der Medicus‘ vor der Kamera stand. Diese Mischung findest du nirgendwo sonst.“

Der lokale Wein „Edler von Querfurt“ wird auf dem ehemaligen Klosterweinberg „St. Bruno“ angebaut – benannt nach dem hier geborenen Heiligen Bruno von Querfurt, dem „Apostel der Preußen„. Ein seltenes Beispiel, wie historische Figuren, Weinkultur und modernes Filmschaffen an einem Ort verschmelzen.

Im Sommer verwandelt sich der Burginnenhof in ein Freiluftkino – mittelalterliche Mauern treffen auf Popkultur. Und während Grevesmühlen sich in eine Piratenhauptstadt verwandelt, bietet Querfurt authentischere Erlebnisse: Am 29. Juli 2025 können Besucher beim historischen Wäschewaschen mitmachen, am 31. Juli steht die traditionelle Kräutersalz-Herstellung auf dem Programm.

Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen

Der beste Zugang zur Burg erfolgt über die nördliche Zufahrt, wo kostenlose Parkplätze bereitstehen. Ein gut ausgebautes touristisches Beschilderungssystem leitet Besucher problemlos durch die Stadt. Besuchen Sie die Anlage am frühen Morgen (vor 10 Uhr) oder nach 16 Uhr, wenn die wenigen Tagestouristen bereits wieder abgereist sind.

Wer die Burg von ihrer besten Seite erleben möchte, sollte unbedingt das Südrondell besteigen – ein ehemaliger Wehrturm, der heute einen spektakulären Panoramablick über die Burganlage und die umliegende Landschaft bietet. Für Weinliebhaber empfehle ich die Verkostung des „Edler von Querfurt“ direkt am Weinberg – nach Voranmeldung beim Tourismusbüro am Marktplatz.

Familien mit Kindern sollten das Kreisbauernmuseum mit seinem überraschenden Streichelzoo nicht verpassen – eine ungewöhnliche Kombination aus Agrargeschichte und lebendigen Tieren, die meine siebenjährige Emma kaum verlassen wollte. Sarah verbrachte derweil Stunden in der Kostümwerkstatt des Burgmuseums, wo Filmkostüme restauriert werden.

Als ich am Abend mit meiner Familie im goldenen Licht der untergehenden Sonne auf der Burgmauer sitze, wird mir klar: Querfurt ist wie ein perfekt erhaltenes mittelalterliches Schiff, das in einem Meer aus Agrarland vor Anker gegangen ist – majestätisch, authentisch und erstaunlich unentdeckt. In einer Zeit, in der deutsche Tourismusziele wie die Wartburg von Besuchermassen überlaufen werden, bleibt diese siebenfach größere Burganlage ein rares Juwel für Reisende, die das Außergewöhnliche im Gewöhnlichen zu schätzen wissen.