Weniger touristisch als die Toskana versteckt dieses Sachsen-Anhalt Städtchen von 3260 Einwohnern Deutschlands nördlichstes Weingebiet

Die Sonne vergoldet das imposante 320 Meter lange Gradierwerk, während salzige Luft meine Lungen füllt. Ich stehe in Bad Kösen, diesem versteckten 3.260-Einwohner-Juwel in Sachsen-Anhalt, knapp 60 Kilometer südwestlich von Leipzig. Was mich hier überrascht: Dieses kleine Städtchen vereint drei Elemente, die ich nirgendwo sonst zusammen gefunden habe – traditionelle Salzgewinnung, nördlichstes Qualitätswein-Anbaugebiet Deutschlands und eine jahrhundertealte Spielzeugmanufaktur. Als hätte jemand ein Stück Toskana nach Mitteldeutschland verpflanzt – nur mit einer Prise Salz und handgefertigten Puppen.

Die verborgene Salzperle: Europas faszinierendstes Gradierwerk

Das Herzstück Bad Kösens ist ein atemberaubendes technisches Denkmal: Ein 20 Meter hohes Gradierwerk, über das Sole tropft und dabei heilsame Aerosole freisetzt. Die historische Anlage aus dem 18. Jahrhundert funktioniert noch heute nach ursprünglichem Prinzip – während andere historische Kurorte im Harz längst nur musealen Charakter haben.

Der Soleschacht fördert Salzwasser aus 175 Metern Tiefe, das anschließend über Schwarzdornhecken rieselt. Ein komplexes Kunstgestänge von 180 Metern Länge trieb einst die Pumpanlage an – eine vergessene Ingenieurskunst, die Besucher heute noch bestaunen können.

Als ich durch den feinen Solenebel wandere, erklärt mir ein älterer Herr mit verschmitztem Lächeln: „Das ist noch die gleiche Technik wie vor 300 Jahren, als hier das ‚weiße Gold‘ gewonnen wurde.“

Wein im Norden: Das Wunder der Saale-Unstrut-Region

Die Weinberge erstrecken sich terrassenförmig über die Kalksteinfelsen entlang der Saale. Hier, im nördlichsten Qualitätsweingebiet Deutschlands, trotzen Winzer seit dem 10. Jahrhundert den klimatischen Bedingungen. Während Walporzheim an der Ahr mit der kleinsten klassifizierten Weinlage der Welt kokettiert, punktet Saale-Unstrut mit seiner besonderen geografischen Lage.

Die 800 Hektar Rebfläche bringen mineralische Weißweine hervor, deren Charakter von den Muschelkalkböden geprägt wird. Steillagen mit Südausrichtung kompensieren den nördlichen Standort – eine Besonderheit, die selbst Neustadt an der Weinstraße mit seiner demokratischen Weinkultur nicht bieten kann.

„Unsere Weine sind wie das Land hier – unprätentiös, ehrlich und mit versteckter Tiefe. Die Kombination aus Kalkstein, Flusstal und kühlem Klima schafft etwas, das man nirgendwo sonst findet.“

Im Landesweingut Kloster Pforta verkoste ich einen 2023er Weißburgunder, der mich mit seiner Frische und Mineralität überrascht. Der Blick schweift über die Weinberge zur imposanten Rudelsburg aus dem 12. Jahrhundert – ein Panorama wie aus einem Gemälde.

Von Käthe Kruse bis heute: Die lebendige Spielzeugtradition

Kaum zu glauben, aber in diesem Städtchen verbirgt sich ein drittes Kleinod: Die Kösener Spielzeugmanufaktur, die die Tradition von Käthe Kruse fortsetzt. Die berühmte Puppengestalterin lebte von 1912 bis 1950 in Bad Kösen und begründete hier eine Handwerkstradition, die bis heute fortbesteht. Ähnlich wie Lüchow mit seiner beeindruckenden Künstlerdichte pflegt Bad Kösen eine kreative Tradition, die weit über die Region hinausstrahlt.

Im Romanischen Haus, dem ältesten Profanbau Mitteldeutschlands aus dem 11. Jahrhundert, entdecke ich eine beeindruckende Sammlung historischer Kruse-Puppen. Daneben das heutige Kunsthandwerk – Spielzeuge, die in aufwändiger Handarbeit entstehen und an die Tradition anknüpfen.

Während woanders Massenproduktion dominiert, werden hier Spielzeuge noch nach traditionellen Methoden gefertigt – ein Stück lebendiges Kulturerbe in unserer schnelllebigen Zeit.

Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen

Der perfekte Besuch beginnt am frühen Morgen, wenn Solenebel über dem Gradierwerk wabert. Parken Sie kostenlos am Parkplatz Saalstraße, nur 200 Meter vom Gradierwerk entfernt. Die kleine Fähre über die Saale (2€ pro Person) verbindet das Gradierwerk mit dem Zentralkurpark – ein versteckter Transportweg, den selbst viele Einheimische selten nutzen.

Besonders im Sommer 2025 lohnt ein Besuch: Das jährliche Brunnenfest im Juni bietet illuminierte Gradierwerke und traditionelles Schausieden. Kombinieren Sie Ihren Besuch mit einer Weinverkostung im Landesweingut und einem Abstecher zur Spielzeugmanufaktur für das perfekte Bad-Kösen-Erlebnis.

Als ich die Brücke über die Saale überquere, mit einem Fläschchen Weißburgunder im Rucksack und dem Geruch von Sole in der Nase, wird mir klar: Dies ist Deutschlands Antwort auf die Toskana – nur mit einem salzigen Twist. Sarah würde die Handwerkskunst der Spielzeuge lieben, und Emma wäre von den verwinkelten Gassen der Altstadt verzaubert. Bad Kösen ist wie ein gut gehütetes Familiengeheimnis – klein genug, um persönlich zu bleiben, und reich genug, um immer wieder Neues zu entdecken.