Ich gleite durch einen sonnigen Julimorgen über kopfsteingepflasterte Gassen, als sich plötzlich eine Stadt aus 200+ erhaltenen Renaissance-Gebäuden vor mir entfaltet. Altenburg, ein thüringisches Geheimnis mit 31.093 Einwohnern, bewahrt eine der seltensten historischen Preziosen Deutschlands: ein nahezu vollständig erhaltenes Stadtbild aus dem Mittelalter, das durch alle Kriege hindurch unversehrt blieb. „Die Spielestadt“, wie sie liebevoll genannt wird, liegt 45 Kilometer südlich von Leipzig, thront auf einem Porphyrfelsen und hat eine Rarität zu bieten, die selbst nach hunderten von Städtebesuchen mein Reisenden-Herz höher schlagen lässt: Hier wurde das Skat-Kartenspiel erfunden.
Europas unentdeckte Spielehauptstadt: 200 Jahre Kartenkultur auf 45 Quadratkilometern
Die Morgensonne taucht das Renaissance-Rathaus in goldenes Licht, während ich vor der einzigartigen Monduhr mit achteckigem Treppenturm stehe. Was Altenburg von bekannteren Kulturstädten unterscheidet, ist sein lebendiges Erbe der Spielkultur – hier entstand 1813 das Skat-Spiel, das heute 40% der deutschen Skatkartenproduktion ausmacht.
„Als ich das erste Mal die KartenMACHERwerkstatt im Residenzschloss betrat, verstand ich plötzlich, warum diese Stadt ein heiliger Ort für Kartenspielliebhaber ist“, erklärte mir ein Besucher aus Bayern, während er selbst Spielkarten in traditioneller Technik herstellte.
Auf dem Weg zum Schloss passiere ich Gebäude, von denen 70-80% unter Denkmalschutz stehen – eine der höchsten Dichten historischer Architektur in ganz Deutschland. Während Thüringen für Weimar und Erfurt bekannt ist, bleibt Rudolstadt mit seinem literarischen Erbe ähnlich unterschätzt wie Altenburg.
Im Schloss entdecke ich nicht nur das Spielkartenmuseum, sondern auch einen ganz besonderen Schatz: den „Altenburger Rattenkönig“ im Mauritianum Naturkundemuseum – eine bizarre Naturformation, die mit lokalen Legenden verbunden ist und zu den seltensten Kuriositäten Europas zählt.
Die perfekte Zeitreise: Eine Renaissance-Stadt, die nie zerstört wurde
Was Altenburg von anderen historischen Städten unterscheidet, ist die nahezu intakte Bausubstanz. Anders als Penig mit seinem Wasserschloss, das einzelne Highlights bietet, präsentiert Altenburg ein vollständig erhaltenes mittelalterliches Ensemble.
„In Venedig oder Rothenburg wirst du von Touristenmassen überrannt. Hier in Altenburg kannst du noch alleine mit der Geschichte flüstern, während du deinen Morgenkaffee auf dem historischen Marktplatz trinkst.“
Vom 194 Meter hohen Rathausturm aus überblicke ich die vollständig erhaltene Struktur der Stadt. Wo andernorts Kriegslücken durch Neubauten gefüllt wurden, erstreckt sich hier ein authentisches Stadtbild mit über 1.000 Jahren Geschichte. Das Residenzschloss thront majestätisch über der Stadt, umgeben vom englischen Landschaftspark, der zum Verweilen einlädt.
Die Skatstadt praktiziert traditionelles Handwerk in moderner Form. Ähnlich wie Zwickau seine Automobilgeschichte pflegt, zelebriert Altenburg sein Kartenhandwerk in der KartenMACHERwerkstatt, wo Besucher eigene Spielkarten gestalten können.
Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen
Besuchen Sie Altenburg am besten früh morgens, wenn das Licht perfekt auf die Renaissance-Fassaden fällt. Parken Sie kostenlos am Großen Teich und spazieren Sie 10 Minuten durch den Schlosspark zur Altstadt. Der mysteriöse Rattenkönig, wie ähnliche Naturkuriositäten in Geising, ist täglich außer montags im Mauritianum zu besichtigen.
Das Timing für einen Besuch könnte nicht besser sein: Am 19. und 20. Juli 2025 findet das Altenburger Spiele-Festival statt – ein lokales Highlight mit Skatmeisterschaften, Inselzoofest und Open-Air-Konzerten im Schlosspark. Einheimische empfehlen das Café Teehaus im Schlosspark für authentischen Kuchen nach historischen Rezepten.
Für einen perfekten Abschluss besteigen Sie den Turm der St. Bartholomäi-Kirche (gegen 2€ Spende), wo Luther 1523 predigte. Von hier oben sehen Sie, warum Altenburgs Altstadt als eine der besterhaltenen Deutschlands gilt.
Als ich Altenburg verlasse, nehme ich die Erinnerung an eine Stadt mit, die mir mehr gab als erwartet. Meine Tochter Emma würde die KartenMACHERwerkstatt lieben, denke ich, während das Residenzschloss im Rückspiegel kleiner wird. Wie die perfekt erhaltenen Karten eines wertvollen Skatspiels bietet Altenburg eine Vollständigkeit, die in unserer schnelllebigen Welt selten geworden ist – ein Blatt, das noch alle seine Farben und Figuren bewahrt hat.