Der Septemberwind weht sanft durch mein Haar, während ich auf dem mittelalterlichen Marktplatz von Brilon stehe. Vor mir erhebt sich ein imposantes Rathaus aus dem 13. Jahrhundert, umgeben von sorgsam restaurierten Fachwerkhäusern. Was mich jedoch wirklich verblüfft: Diese beschauliche Stadt mit 25.000 Einwohnern besitzt einen kommunalen Wald von unglaublichen 77,5 Quadratkilometern – eine Fläche fast so groß wie Manhattan. Die nordrhein-westfälische Hansestadt, nur 70 Kilometer östlich von Dortmund gelegen, verbirgt ihr bemerkenswertes Geheimnis hinter einem historischen Stadtkern.
Deutschlands grünstes Geheimnis: Ein Wald so groß wie Manhattan
Brilon trägt stolz den offiziellen Titel „Stadt des Waldes“. Mit 3,1 Quadratkilometern Wald pro 1.000 Einwohner besitzt die Stadt die höchste Pro-Kopf-Waldfläche Deutschlands. Zum Vergleich: Es gibt etwa 35 Bäume pro Einwohner – ein bemerkenswertes Verhältnis, das selbst in Deutschland einzigartig ist.
Auf 450 Metern Höhe gelegen und umgeben von sanften Bergen bietet die Stadt einen faszinierenden Kontrast. Der Rothaarsteig, einer von Deutschlands schönsten Fernwanderwegen, startet direkt am historischen Marktplatz. Während Sylt für seine beeindruckenden Küstenlandschaften bekannt ist, versteckt Brilon ein ebenso faszinierendes Naturgeheimnis im Landesinneren.
Die Herbstfarben verwandeln den Stadtwald gerade in ein leuchtendes Kaleidoskop aus Gold und Kupfer. Ein Waldförster erzählte mir von der jahrhundertealten Tradition des „Schnadezugs“ – seit 1388 wird bei dieser Grenzbegehung der riesige Stadtwald jährlich abgeschritten. Eine Tradition, die den tiefen Bezug der Briloner zu ihrem Wald symbolisiert.
Mittelalterliches Juwel ohne Touristenmassen
Während sich Rothenburg ob der Tauber mit Reisebussen und Selfie-Sticks herumschlagen muss, begegne ich in Brilons Altstadt nur Einheimischen. Das Rathaus aus dem 13. Jahrhundert mit seinem charakteristischen Glockenspiel und die imposante Propsteikirche von 1220 zeugen von der reichen hanseatischen Geschichte, ohne von Souvenirläden umzingelt zu sein.
„Wir schätzen unsere Ruhe. Die Menschen kommen hierher und sind überrascht, wie authentisch alles geblieben ist. Keine Massenabfertigung, keine überteuerten Cafés – nur echtes Sauerländer Leben.“
Die Stadt teilt ihr mittelalterliches Erbe mit Orten wie Osterwieck und seinen 400 Fachwerkhäusern, doch während andere historische Städte vom Massentourismus überrollt werden, bleibt Brilon eine Oase der Authentizität. Besonders beeindruckend ist die mittelalterliche Stadtbefestigung, deren Verlauf noch heute im Stadtbild erkennbar ist.
Die Briloner leben im Einklang mit ihrer Geschichte. Das Derker Tor, das letzte erhaltene von vier Stadttoren, erzählt Geschichten von hanseatischem Handel und mittelalterlicher Verteidigung, ohne dabei zum Instagram-Hotspot degradiert zu werden. Diese Stadt atmet Geschichte, ohne sie zur Schau zu stellen.
Herbstzauber 2025: Perfektes Timing für Brilons Waldrekord
Der Herbst 2025 ist die ideale Zeit, um Brilons Waldreichtum zu erleben. Die Temperaturen liegen angenehm bei 12-18 Grad – perfekt für ausgedehnte Wanderungen auf dem Rothaarsteig oder den Briloner Höhen. Während Schwäbisch Hall Kulturliebhaber anzieht, begeistert Brilon vor allem Naturfreunde und Entdecker unberührter Landschaften.
Für die beste Erfahrung empfehle ich den Waldfeenpfad, einen 3 Kilometer langen Erlebnispfad mit neun Stationen. Parken Sie kostenlos am Waldfreibad und starten Sie Ihre Entdeckungstour am frühen Morgen, wenn der Nebel noch mystisch zwischen den Bäumen hängt.
Der Briloner Herbsthandwerkermarkt findet Anfang Oktober statt – ein authentisches Fest lokaler Traditionen ohne Kommerzialisierung. Gleichzeitig sind die Wanderwege noch nicht winterlich verschneit, sodass Sie die 70 verschiedenen Vogelarten beobachten können, die im Stadtwald leben.
Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen
Die besten Aussichtspunkte finden Sie auf dem Poppenberg (605 m) und dem Borberg (670 m). Von dort aus erfasst Ihr Blick die enorme Ausdehnung des Stadtwaldes – eine grüne Lunge, die sich bis zum Horizont erstreckt.
Statt in touristischen Restaurants zu essen, besuchen Sie die Markthalle am Donnerstag und kaufen Sie direkt bei lokalen Produzenten ein. Die traditionelle Sauerländer Bratwurst und das Briloner Bier sind unbedingt einen Versuch wert.
Als meine Frau Sarah und ich durch den herbstlichen Wald wanderten, erinnerte mich die Landschaft an die berühmten Waldszenen aus „Der Herr der Ringe“ – nur ohne Hobbits und Elben, dafür mit authentischem deutschen Waldcharakter. In einer Welt überlaufener Touristenfallen ist Brilon eine seltene Entdeckung: eine Stadt, die ihr kulturelles und natürliches Erbe bewahrt hat, ohne es zu kommerzialisieren. Wer das wahre Deutschland abseits der ausgetretenen Pfade erleben möchte, wird hier fündig.