Warum dieser Niedersachsen Turm von 7.887 Einwohnern 5 europäische Länder vor dänischer Herrschaft rettete

Die Holzstufen knarren unter meinen Füßen, während ich die 113 Stufen des Waldemarturms erklimme. Mein Hemd klebt mir am Rücken in der Augusthitze, aber was sich gerade vor meinen Augen entfaltet, ist jeden Schweißtropfen wert. In 25 Metern Höhe stehe ich auf der Plattform dieses mittelalterlichen Wehrturms im niedersächsischen Dannenberg, einer Kleinstadt mit gerade einmal 7.887 Einwohnern. Unter mir breitet sich das Elbtal aus – doch was diesen Turm wirklich besonders macht, ist seine erstaunliche Geschichte: Hier, hinter 3,5 Meter dicken Mauern, wurde vor exakt 800 Jahren ein dänischer König gefangen gehalten – in einer Entführung, die die Landkarte Nordeuropas für immer veränderte.

Die königliche Entführung, die Europa veränderte: 800 Jahre später enthüllt

Es klingt wie aus einem Spionagethriller: In der Nacht vom 6. zum 7. Mai 1223 entführten deutsche Adlige den dänischen König Waldemar II. von der Insel Lyö. Ein mittelalterliches „Watergate“, das das Machtgefüge im gesamten Ostseeraum erschütterte. Der König, von seinen Zeitgenossen „der Sieger“ genannt, hatte ein dänisches Großreich von Estland bis Holstein aufgebaut. Seine Gefangennahme ließ dieses Reich bröckeln.

Die Entführer versteckten ihre königliche Geisel zunächst an unbekannten Orten und brachten ihn schließlich in den Waldemarturm – benannt nach seinem berühmtesten Gefangenen. „Die Gefangenschaft des Königs war der Anfang vom Ende der dänischen Großmachtstellung im Ostseeraum“, erklärt mir Museumsleiterin Frau Schröder, während sie auf eine verblasste Karte im Museum zeigt.

Der Turm mit seinen imposanten 3,5 Meter dicken Mauern wurde um 1200 erbaut und bietet faszinierende architektonische Details. Während Oberwesel mit seiner beeindruckenden Sammlung von 16 mittelalterlichen Türmen durch Quantität besticht, beeindruckt der Waldemarturm durch seine historische Bedeutung und qualitative Erhaltung.

Wie ein 33-Meter-Turm mit 3,5-Meter-Mauern einen König verbarg und 5 Länder prägte

Im dritten Stock des Turms zeigt mir die Führerin das berüchtigte „Königsloch“ – eine primitive Toilette, die der mächtige Herrscher nutzen musste. Ich muss schmunzeln bei dem Gedanken, dass hier ein Mann, der über weite Teile Nordeuropas herrschte, auf ein einfaches Loch reduziert wurde. Die Konsequenzen seiner Gefangennahme waren jedoch alles andere als amüsant.

„Ohne dieses Ereignis in unserem kleinen Ort wären Schleswig-Holstein und Mecklenburg womöglich noch heute unter dänischer Herrschaft. Ein einziger Moment in der Geschichte veränderte die Grenzen mehrerer Länder für immer.“

Diese unscheinbare Stadt mit ihren 7.887 Einwohnern bewahrt damit ein Geheimnis von europäischer Tragweite. Ähnlich wie das kleine Rhens, wo 1346 ein Kaiser für ganz Europa gewählt wurde, zeigt Dannenberg, wie kleine Orte große Geschichte schreiben können.

Im Gegensatz zum touristisch beliebteren Hitzacker mit seinem malerischen Fachwerkensemble nur 15 Kilometer entfernt, bleibt Dannenberg ein Geheimtipp. Während dort Reisebusse parken, kann ich hier in Ruhe Geschichte atmen.

Das „Königsloch“ und andere Rätsel: Was der Waldemarturm nach 8 Jahrhunderten preisgibt

Die 2023 zum 800-jährigen Jubiläum der Entführung angekündigte Sonderausstellung ist jetzt, im August 2025, vollständig eingerichtet. Besonders beeindruckend sind die interaktiven Elemente: Ein digitaler Nachbau des Turms zeigt die verschiedenen Umbaustufen über die Jahrhunderte.

Im Erdgeschoss befindet sich die dauerhafte Ausstellung „100 Tage in Gummistiefeln„, die die Geschichte der Stadt mit dem Hochwasser der Elbe verbindet – eine gelungene Ergänzung zur königlichen Geschichte. Wer mehr historische Juwelen in Norddeutschland entdecken möchte, findet in Ratzeburg mit seinem ursprünglichen romanischen Dom einen würdigen nächsten Halt.

August 2025: Der perfekte Zeitpunkt, um Dannenbergs historischen Schatz zu entdecken

Für Ihren Besuch parken Sie am besten kostenlos am Schulzentrum nahe des Thielenburger Sees. Von dort sind es nur 7 Minuten Fußweg zum Waldemarturm. Der Eintritt beträgt 4,50 Euro, Kinder unter 12 zahlen 2 Euro.

Besuchen Sie den Turm idealerweise am frühen Vormittag (Öffnung 9:00 Uhr) oder nach 16:00 Uhr, wenn die wenigen Tagestouristen bereits weitergezogen sind. Die 113 Stufen sind nicht für Personen mit Mobilitätseinschränkungen geeignet, aber der Ausblick von oben entschädigt für den Aufstieg.

Während ich die letzte Wendeltreppe hinabsteige, denke ich an die vielen Schichten der Geschichte, die dieser Turm erlebt hat. Sarah, meine Frau, hatte recht, als sie darauf bestand, diesen Ort zu besuchen. „Es sind nicht immer die bekanntesten Orte, die die besten Geschichten erzählen,“ sagte sie.

Draußen setze ich mich auf eine Bank am Fuße des Turms. Ein älterer Herr nickt mir zu und sagt in breitem Niederdeutsch: „Moin.“ In diesem Moment fühlt sich Dannenberg an wie ein Ort, an dem die Vergangenheit nie wirklich vergangen ist – ein Ort, wo ein König einst gefangen war und dadurch, ohne es zu wissen, die Grenzen Europas neu zeichnete.