Der Morgennebel hängt noch über dem glitzernden Bodensee, als ich durch das massive Obertor der Altstadt schreite. Vor mir ragt sie majestätisch auf – die Burg Meersburg, ein gewaltiger Steinkoloss, der seit 1397 Jahren unbesiegt über diesem 5.929-Einwohner-Städtchen thront. Errichtet im Jahr 628 n.Chr., steht sie da wie ein versteinerte Zeitkapsel, die etwas Unmögliches geschafft hat: Sie wurde nie erobert, nie zerstört, nie aufgegeben. Während Burgen ringsum in Schutt und Asche fielen, blieb Meersburg unbesiegt. Ein Rätsel, das mich hierher gelockt hat.
Die steile Kopfsteinpflasterstraße führt mich hinauf, während frische Seeluft von unten heraufweht. Links und rechts mittelalterliche Fachwerkhäuser, die aussehen, als hätten sie sich seit Jahrhunderten kaum verändert. Irgendwo lachen Kinder. Ein Bäcker öffnet seinen Laden. Der Duft von frischem Brot vermischt sich mit der Geschichte, die hier förmlich aus den Mauern zu wachsen scheint.
Das 1400-jährige Mysterium: Die unbesiegbare Festung Deutschlands
„Alle anderen Burgen der Region wurden mindestens einmal erobert oder zerstört“, erklärt mir der Burgarchivar, während wir durch einen kühlen Steingang schreiten. „Aber nicht Meersburg. Wir sprechen von über 1400 Jahren ungebrochener Geschichte.“ Die Zahlen sind verblüffend. 35 original eingerichtete Räume bilden einen lebendigen Zeugen vergangener Epochen.
Wir betreten den Rittersaal mit seinen massiven Eichenbalken. Der imposante Dagobertsturm aus dem 7. Jahrhundert bildet das älteste Element der Burg – benannt nach dem Merowingerkönig, der ihn errichten ließ. Hier wurden später angeblich Hexen verhört. Ein frösteln läuft mir über den Rücken, als ich die meterdicken Mauern berühre.
Was machte diese Burg so unverwundbar? War es die strategische Lage auf dem Felsen? Die besondere Bauweise? Oder steckt mehr dahinter? Die Burg gehört zu den ungelösten Burgmysterien Deutschlands, deren Geschichte von ungewöhnlichen Überlebensstrategien geprägt ist.
Von Dagobert bis Droste-Hülshoff: Literarische Seele einer zeitlosen Festung
Die Burg atmet Geschichte. Im 13. Jahrhundert wurde sie Sitz der Fürstbischöfe von Konstanz. Jahrhunderte später fand die berühmte Dichterin Annette von Droste-Hülshoff hier ihre letzte Heimat. Ihr Arbeitszimmer wirkt, als hätte sie es gerade erst verlassen – ein Fenster in eine andere Zeit.
„Ich kam wegen der Burg, aber blieb wegen der Atmosphäre. Man spürt hier die Schichten der Zeit anders als in überlaufenen Touristenorten – es ist, als könnte man die Geschichte mit Händen greifen.“
Dieses Gefühl teilen viele Besucher. Anders als im nur 20 Kilometer entfernten Konstanz mit seinen Touristenmassen oder im österreichischen Hallstatt, wo Besuchergruppen sich durch enge Gassen schieben, bewahrt Meersburg seine authentische Seele. Die Burg gehört zu den historischen Mysterien Deutschlands, deren Geheimnisse noch immer nicht vollständig gelüftet sind.
Zwischen Weinbergen und Geschichte: Meersburgs doppelte Identität
Nach dem Burgbesuch führt mich mein Weg hinunter zu den Weinbergen. Meersburg ist nicht nur eine Burgstadt, sondern auch ein bedeutendes Weinzentrum. Das Staatsweingut Meersburg gilt als erste Weinbaudomäne Deutschlands und erstreckt sich über sanfte Hügel am See.
Die Weinterrassen schaffen ein beeindruckendes Panorama. Während andere deutsche Weinparadiese für ihren Riesling bekannt sind, konzentriert sich Meersburg auf charaktervolle Burgundersorten, die in der einzigartigen Bodensee-Mikroklima gedeihen. Hier, zwischen 400 und 450 Metern über dem Meeresspiegel, entstehen Weine mit bemerkenswerter Eleganz.
Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen
Der beste Zugang zur Burg erfolgt früh morgens um 9 Uhr, wenn die Tore öffnen, aber bevor die Reisebusse eintreffen. Parken Sie am besten im Parkhaus Oberstadt (Tagesgebühr 8 Euro), nur 3 Gehminuten vom Haupteingang entfernt.
Ein Geheimtipp für den Sommer 2025: Besuchen Sie die Gutsschänke des Staatsweinguts zum Sonnenuntergang. Die Terrasse mit Alpenblick ist ein lokaler Schatz, allerdings sollten Sie 3 Wochen im Voraus reservieren. Der „Burgwächter“ – ein Weißburgunder mit Muskatellernote – schmeckt hier besonders gut, während die Abendsonne die mittelalterlichen Mauern in goldenes Licht taucht.
Wenn Emma, meine Tochter, dabei wäre, würde sie die versteckten Turmtreppen lieben, die wie aus einem ihrer Fantasybücher wirken. Sarah, meine Frau, würde stundenlang die Architekturdetails fotografieren – besonders das Zusammenspiel von Licht und Schatten in den alten Gemäuern. Als ich auf der Burgmauer stehe und über den glitzernden Bodensee blicke, wird mir klar: Meersburg ist wie ein altes Buch, dessen beste Geheimnisse zwischen den Zeilen stehen. Und manchmal braucht es 1400 Jahre, bis jemand sie entdeckt.