Thüringens zweitgrößte Stadt mit 95.820 Einwohnern versteckt 9 Kilometer unterirdische Höhler und Deutschlands ältesten Dahliengarten

Ich stehe auf dem Marktplatz von Gera, wo die Morgensonne das barocke Rathaus mit seinem eleganten Mansardendach in goldenes Licht taucht. Mit 95.820 Einwohnern ist Gera Thüringens zweitgrößte Stadt – doch während jährlich Millionen Touristen durch Weimar und Erfurt strömen, scheint diese faszinierende Stadt fast vergessen. Was die meisten nicht ahnen: Unter meinen Füßen erstreckt sich ein 9 Kilometer langes Labyrinth aus mittelalterlichen Gängen, während am Stadtrand Deutschlands ältester Dahliengarten in voller Blüte steht.

Das verborgene Reich unter den Straßen Geras

Die historischen Geraer Höhler bilden ein komplexes Tunnelsystem, das sich bis zu 10 Meter unter der Altstadt erstreckt. Diese unterirdischen Gänge wurden ursprünglich von Brauereien zur Bierlagerung genutzt. Die konstante Temperatur von 8-10 Grad bot ideale Bedingungen für die Reifung.

Ein lokaler Höhlerführer öffnet eine unscheinbare Tür am Marktplatz, die direkt in die Unterwelt führt. Die schmalen, in Sandstein gehauenen Gänge verzweigen sich wie ein Spinnennetz unter der Stadt. Manche Bereiche sind erst in den letzten Jahren wiederentdeckt worden.

Während Tausende Besucher täglich durch die überfüllten Prager Keller drängen, bin ich hier fast allein. Nur eine kleine Gruppe von vier anderen Besuchern teilt diese geheimnisvolle Unterwelt mit mir – ein radikaler Kontrast zur Touristenmasse in vergleichbaren historischen Städten.

„Manche Einheimische kennen diese Gänge ihr ganzes Leben lang nicht. Wenn Besucher hierher kommen, sind sie immer erstaunt, dass eine Stadt dieser Größe solche Geheimnisse bewahrt. In größeren Städten wäre dies längst eine Hauptattraktion.“

Während die Weimarer Kulturschätze internationale Bekanntheit genießen, bleibt Geras unterirdische Welt ein Geheimtipp für Entdecker, die das Authentische suchen.

Ein botanisches Wunder im Kontrast zur Unterwelt

Nach dem Aufstieg aus der Unterwelt fahre ich 15 Minuten zum Stadtteil Debschwitz. Hier blüht ein ganz anderes Wunder: Der älteste Dahliengarten Deutschlands explodiert in einem Farbenmeer aus über 2.200 verschiedenen Dahlien.

Der botanische Garten wurde 1928 angelegt und hat beide Weltkriege überstanden. Jetzt, im September 2025, erreicht die Blütenpracht ihren Höhepunkt. Tausende Blüten in allen erdenklichen Farben und Formen schmücken die geschwungenen Beete.

Die Kombination ist verblüffend: Eine Stadt mit einem labyrinthartigen mittelalterlichen Untergrund beherbergt gleichzeitig einen der ältesten und artenreichsten Spezialblumengärten des Landes. Diese Kontraste machen Gera einzigartig in der deutschen Kulturlandschaft.

Der Dahliengarten steht in einer botanischen Tradition, die in Ostdeutschland tief verwurzelt ist – ähnlich wie Sangerhausen mit seiner rekordverdächtigen Rosensammlung. Für Gartenliebhaber entsteht so eine faszinierende Route durch Ostdeutschlands botanische Schätze.

Architektonische Meisterwerke ohne Warteschlangen

Ich schlendere durch die Altstadt und entdecke das Haus Schulenburg, ein Jugendstilgebäude, das vom berühmten Bauhaus-Pionier Henry van de Velde entworfen wurde. Dieses 1913 vollendete Gesamtkunstwerk vereint Architektur, Inneneinrichtung und Parkgestaltung aus einer Hand.

Was in Berlin oder München lange Warteschlangen verursachen würde, kann ich hier in aller Ruhe erkunden. Der Museumsführer nimmt sich 45 Minuten Zeit, mir persönlich die Geschichte des Hauses zu erläutern.

Thüringens handwerkliche Traditionen zeigen sich in Gera ebenso wie im nahegelegenen Apolda, das für seine jahrhundertealte Glockenproduktion bekannt ist. Diese Region bewahrt ein kulturelles Erbe, das internationale Anerkennung verdient.

Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen

Der beste Zugang zu den Geraer Höhlern ist über die Führungen am Marktplatz, die täglich um 11:00 und 14:00 Uhr starten. Reservieren Sie unbedingt vorab, da maximal 15 Personen pro Tour zugelassen sind.

Besuchen Sie den Dahliengarten idealerweise am frühen Morgen, wenn das Licht für Fotos perfekt ist und Sie die Blütenpracht fast für sich allein haben. Die Farbenpracht ist im September 2025 auf ihrem absoluten Höhepunkt.

Planen Sie mindestens einen dreitägigen Aufenthalt in Gera: einen Tag für die Altstadt und die unterirdischen Höhler, einen Tag für den Dahliengarten und die Parks, und einen Tag für das Haus Schulenburg und einen Ausflug in die umliegenden Wälder.

Als ich zum Bahnhof zurückkehre, denke ich an meine Tochter Emma, die die bunten Dahlien geliebt hätte. Meine Frau Sarah hätte in den unterirdischen Gängen perfekte Fotomotive gefunden. Gera ist wie ein gut gehütetes Familienalbum – voller Schätze, die nur jene entdecken, die sich die Zeit nehmen, genauer hinzusehen. In einer Welt von überfüllten Touristenzielen bleibt diese thüringische Stadt ein Ort, wo Entdeckungen noch echt und persönlich sind.