Dieses sächsische Dorf von 7.118 Einwohnern produzierte einst 75% aller Musiksaiten weltweit

Ein frischer Herbstmorgen im sächsischen Vogtland. Ich betrete eine unscheinbare Werkstatt in Markneukirchen und beobachte, wie geschickte Hände präzise die Schnecke einer Violine schnitzen. Die staubige Luft riecht nach frischem Holz und Lack. Schwer zu glauben, dass diese 7.118-Einwohner-Stadt einst 75% aller Musiksaiten weltweit produzierte. Während Millionen Musikliebhaber nach Cremona pilgern, bleibt Markneukirchens globale Bedeutung ein gut gehütetes Geheimnis, versteckt in den sanften Hügeln des Vogtlands, nur 3 Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt.

Wie eine Kleinstadt zur heimlichen Welthauptstadt des Musikinstrumentenbaus wurde

Die Geschichte begann 1677, als zwölf böhmische Geigenbauer als Glaubensflüchtlinge hier ankamen. Was als kleine Handwerksgemeinschaft begann, entwickelte sich zu einem globalen Phänomen. Im Jahr 1913 – dem Höhepunkt der Produktion – kamen drei Viertel aller weltweit gespielten Musiksaiten aus diesem bescheidenen Ort.

Heute beherbergt Markneukirchen über 120 aktive Werkstätten, in denen Saiteninstrumente, Blechblasinstrumente und Holzblasinstrumente in traditioneller Handarbeit gefertigt werden. Im Vergleich dazu hat Mittenwald in Bayern sich auf Geigenbau spezialisiert, während Markneukirchen die gesamte Palette der Orchesterinstrumente abdeckt.

Die örtlichen Handwerker nennen ihre Region liebevoll „Musikwinkel“ – eine Bezeichnung, die auf Deutsch perfekt die geografische und kulturelle Nische beschreibt, in der dieses außergewöhnliche Handwerk gedeiht. Wie Meißen für sein Porzellan weltberühmt wurde, so hat sich Markneukirchen seinen Platz in der Geschichte als Musikinstrumentenbau-Metropole gesichert. Sachsen bewahrt nicht nur in Meißen wertvolle Handwerkstraditionen, sondern auch hier im Vogtland.

Markneukirchen vs. Cremona: Die unterschätzte Konkurrenz zu Stradivari

Während das italienische Cremona (Heimatstadt von Stradivari) weltweit für seine Geigen gefeiert wird, bietet Markneukirchen eine erstaunliche Vielfalt. Hier werden nicht nur Streichinstrumente gefertigt – vom Kontrabass bis zur Bratsche – sondern auch Holz- und Blechblasinstrumente, Zupfinstrumente und sogar Schlaginstrumente.

„Wenn man durch unsere Straßen geht, hört man aus fast jedem dritten Haus Klänge von Instrumenten oder die Geräusche der Werkstätten. Das Handwerk ist kein Museum, sondern unser tägliches Leben. Viele unserer Kunden wissen gar nicht, dass ihre Instrumente aus einer so kleinen Stadt stammen.“

Das Musikinstrumentenmuseum beherbergt über 6.500 Instrumente, darunter eine beeindruckende Riesengeige und die weltgrößte spielbare Tuba. Für eine Stadt mit gerade mal 7.118 Einwohnern kommt das einem Instrument pro Einwohner nahe – eine unfassbare kulturelle Dichte, die selbst Cremona in den Schatten stellt.

Anders als Cremona, das sich auf Hochpreis-Einzelstücke konzentriert, hat Markneukirchen schon früh den Weg zur qualitativ hochwertigen Serienproduktion eingeschlagen. Während andere sächsische Orte wie Ehrenfriedersdorf für ihre Bergbautradition bekannt sind, überzeugt Markneukirchen mit musikalischem Handwerk, das seit Generationen weitergegeben wird.

Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen

Der Herbst 2025 ist die ideale Zeit für einen Besuch. Die Werkstätten sind in voller Produktion für das Weihnachtsgeschäft, und die Buchen- und Ahornwälder – dieselben Hölzer, aus denen die Instrumente gefertigt werden – stehen in flammenden Farben. Parken Sie am besten kostenlos am Musikinstrumentenmuseum (täglich 10-17 Uhr geöffnet, Eintritt 8€).

Für ein einzigartiges Erlebnis besuchen Sie die Werkstätten unbedingt mittwochs von 14-16 Uhr, wenn die meisten für Besucher geöffnet sind. Mein Geheimtipp: Besuchen Sie die Meistergeigenbauer in der Adorfer Straße und fragen Sie nach einer kurzen Demonstration – oft dürfen Besucher selbst Hand anlegen und einen Einblick in das jahrhundertealte Handwerk gewinnen.

Nach der Erkundung des Musikwinkels bietet sich ein Abstecher nach Bad Schandau an, um Sachsens naturlandschaftliche Highlights zu erleben – ein perfekter Kontrast zum handwerklichen Fokus in Markneukirchen.

Als ich mit meiner Kamera durch die engen Gassen schleiche, wird mir klar: Ich bin an einem Ort, wo die Zeit anders fließt. Meine Frau Sarah würde die Farbpalette der Lacke lieben, und meine Tochter Emma wäre von den Klangwundern verzaubert. Markneukirchen ist wie ein perfekt gestimmtes Instrument – unscheinbar im Regal, aber sobald es in die Hand genommen wird, entfaltet es eine Magie, die weit über seine bescheidene Größe hinausgeht.