Der Wind wirbelt sanft durch mein Haar, als ich auf der 447 Meter hohen Kuppe des Löbauer Bergs stehe. Vor mir erhebt sich majestätisch ein architektonisches Wunder, das in Europa seinesgleichen sucht: der König-Friedrich-August-Turm – ein vollständig aus Gusseisen gefertigter Turm, der seit 1854 die Landschaft prägt. Nur 18 Kilometer östlich vom bekannteren Bautzen entfernt, hat Löbau mit seinen bescheidenen 14.618 Einwohnern ein Geheimnis bewahrt, das jeden Architekturliebhaber elektrisieren wird.
Europas einziger Gusseisenturm: In 2,5 Monaten zum architektonischen Wunder
Was mich sofort fasziniert: Der 28 Meter hohe Turm wurde in der Rekordzeit von nur 2,5 Monaten errichtet. Ein bauliches Meisterwerk, das die industrielle Revolution in Sachsen perfekt symbolisiert.
Die filigrane Ornamentik und die achteckige Grundform machen den Turm zu einem Kunstwerk aus Metall. Mein Finger gleitet über die kühle Eisenoberfläche, die trotz ihrer 170 Jahre bemerkenswert gut erhalten ist. Das Geländer der Wendeltreppe fühlt sich glatt an – abgenutzt von unzähligen Händen, die hier hinaufgestiegen sind.
Von der obersten Plattform offenbart sich ein atemberaubender 360-Grad-Panoramablick über die Oberlausitz. An klaren Tagen reicht die Sicht bis zum Riesengebirge und zum Zittauer Gebirge – ein Privileg, das hier nicht mit Touristenmassen geteilt werden muss, wie in Marienberg mit seiner Renaissance-Idealstadt.
Haus Schminke: Wie ein sächsischer Nudelhersteller ein Weltarchitektur-Juwel schuf
Am Fuße des Berges erwartet mich das zweite architektonische Wunder Löbaus: das Haus Schminke. Ein weißes, geschwungenes Gebäude, das wirkt, als wäre es direkt aus der Zukunft in die sächsische Provinz gefallen.
Dieses 1933 erbaute Meisterwerk des Architekten Hans Scharoun gehört zu den vier bedeutendsten Wohnhäusern der Klassischen Moderne weltweit. Während Bauhaus-Fans nach Dessau pilgern, bleibt dieses Juwel weitgehend unentdeckt – ein Geheimtipp für echte Architekturkenner.
„Man betritt nicht einfach ein Haus – man erlebt eine Reise durch Raum und Zeit. Die fließenden Übergänge und das Lichtspiel machen das Haus Schminke zu einer Offenbarung, die man gesehen haben muss, bevor die Welt es entdeckt.“
Besonders erstaunlich ist, dass man in diesem architektonischen Meisterwerk übernachten kann – eine seltene Gelegenheit, die selbst in viel berühmteren Designstädten wie Barcelona kaum möglich wäre. Eine Nacht hier kostet ab 120 Euro, was verglichen mit ähnlichen Erlebnissen in den designorientierten Städten Europas geradezu bescheiden wirkt.
Die handwerkliche Tradition Sachsens zeigt sich auch in anderen Regionen wie Seiffen mit seinen weltberühmten Weihnachtswerkstätten – doch Löbau vereint Handwerk und Moderne auf einzigartige Weise.
Die geologische Überraschung: Vulkanische ‚Steinerne Meere‘ in Sachsen
Zwischen meinen architektonischen Erkundungen entdecke ich ein unerwartetes Naturwunder: die Steinernen Meere. Diese vulkanischen Basaltformationen wirken wie erstarrte Wellen aus Stein.
Entstanden vor 25 Millionen Jahren durch vulkanische Aktivität, bieten diese Formationen einen überraschenden Kontrast zur ländlichen Umgebung Sachsens. Fast 76% der Stadtfläche von Löbau werden landwirtschaftlich genutzt – eine grüne Oase, in der man nicht mit vulkanischen Phänomenen rechnen würde.
Naturliebhaber finden in Ostdeutschland weitere Schätze wie die UNESCO-Naturschutzgebiete in Angermünde, doch die vulkanische Geschichte Löbaus bleibt einzigartig in der Region.
Insider-Guide: Die optimale Löbau-Erkundung im Sommer 2025
Der beste Zeitpunkt für einen Besuch ist morgens zwischen 9 und 11 Uhr, wenn der Turm gerade öffnet und die Sonne perfekt für Fotos steht. Das Haus Schminke sollte unbedingt vorgebucht werden – besonders für Übernachtungen, die oft Monate im Voraus ausgebucht sind.
Folgen Sie dem 12,5 Kilometer langen Stadtpfad, der alle Highlights verbindet. Die lokalen Gastronomen am Altmarkt servieren sächsische Spezialitäten, die nach traditionellen Rezepten zubereitet werden – perfekt nach einem Tag voller Architekturerlebnisse.
Während Sarah fotografiert, bemerkt meine Tochter Emma etwas, das mir entgangen war: Am Turm sind kleine Verzierungen angebracht, die an ein Kartenspiel erinnern – ein verspieltes Detail, das nur Kinderaugen sofort entdecken. Diese Mischung aus Industriegeschichte und feinen Details macht Löbau zu einem unerwarteten Höhepunkt unserer Deutschlandreise – ein Ort, der wie das perfekte Nudelgericht des Nudelfabrikanten Schminke ist: unscheinbar in der Präsentation, aber komplex und befriedigend im Erlebnis.