Ich stehe auf einem steilen Weinbergspfad, 170 Meter über dem schlafenden Moseltal. Vor mir erhebt sich das, was deutsche Reiseexperten als „die große Unbekannte“ bezeichnen: Burg Thurant, die einzige Doppelburg an der gesamten 545 Kilometer langen Mosel. Anders als die überlaufene Burg Eltz, die täglich Touristenbusse empfängt, schlummert dieses architektonische Unikat über dem 681-Einwohner Dorf Alken nahezu unentdeckt. Hier versteckt sich etwas Einzigartiges – zwei separate Burgen in einer, physisch durch eine Mauer geteilt, jede mit eigenem Bergfried, eigenem Tor und eigener Verwaltung.
Die einzige Doppelburg der Mosel: Geteilte Architektur mit zwei Leben
Dieses architektonische Phänomen ist keine Laune moderner Rekonstruktion. Es entstand durch einen dramatischen mittelalterlichen Konflikt. Als Pfalzgraf Heinrich, Bruder von Kaiser Otto IV., im Jahr 1200 die Burg auf diesem Schiefersporn errichtete, benannte er sie nach der Festung Toron im heutigen Libanon, die er während des Dritten Kreuzzugs vergeblich belagert hatte.
Doch die wahre Besonderheit entstand erst später. Nach jahrelangen Fehden unterzeichneten die rivalisierenden Erzbistümer Köln und Trier am 17. November 1248 einen Sühnevertrag – eines der ältesten erhaltenen deutschsprachigen Dokumente. Die Lösung? Die Burg wurde physisch geteilt.
„Man muss es gesehen haben, um es zu glauben“, erzählte mir ein älterer Herr aus dem Dorf. „Während andere Burgen umkämpft wurden, teilte man diese einfach in zwei Hälften und baute eine Mauer mittendurch.“
»Täglich strömen Hunderte zu Burg Eltz, während hier nur wenige verstehen, dass sie vor dem einzigen Beispiel mittelalterlicher Machtaufteilung stehen, das architektonisch manifestiert wurde. Es ist, als hätte man den Kalten Krieg in Stein gemeißelt.«
Jede Hälfte bekam ihren eigenen Bergfried, eigenes Burgtor und separate Wohn- und Wirtschaftsräume. Der „Kölner Teil“ und der „Trierer Teil“ existierten jahrhundertelang nebeneinander – eine gebaute Demonstration mittelalterlicher Machtbalance.
681 Einwohner und eine architektonische Weltrarität
Während Saarburg mit seinem spektakulären 20-Meter-Wasserfall im Stadtzentrum regelmäßig in Reiseführern erscheint, bleibt Alken ein Geheimtipp. Das Dorf bewahrt auf kleinstem Raum eine Konzentration mittelalterlicher Bausubstanz, die selbst für deutsche Verhältnisse beeindruckend ist.
Die St. Michaelskirche mit ihren über 1000 Jahre alten Fresken steht neben dem historischen Beinhaus. Der Laacher Hof, der vor 900 Jahren als Gutshof der Eifeler Abtei Maria Laach gegründet wurde, diente später als mittelalterliches „Finanzamt“.
Der Kontrast könnte kaum größer sein: Die weltbekannte Burg Eltz empfängt jährlich Hunderttausende Besucher, während die architektonisch einzigartigere Burg Thurant ihre Geheimnisse für die wenigen bewahrt, die den Weg nach Alken finden. Wer Mayschoß als Gründungsort der ersten Winzergenossenschaft der Welt besucht hat, findet in Alken eine perfekte Ergänzung zur Weingeschichte der Region.
Der 777 Jahre alte Vertrag, der eine Burg teilte
Bis heute können Besucher die physische Manifestation eines der ältesten deutschsprachigen Rechtsdokumente mit eigenen Augen sehen. Der Sühnevertrag vom 17. November 1248 steht für ein einzigartiges Kapitel mittelalterlicher Konfliktlösung.
Die Einzigartigkeit dieser Lösung wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass die meisten mittelalterlichen Machtstreitigkeiten mit Blut endeten. Hier dagegen teilte man schlicht das Objekt der Begierde – und errichtete eine Trennmauer mitten durch die Burg.
Diese Teilung blieb bis heute erhalten, selbst nachdem Robert Allmers, Mitbegründer der Hansa-Automobil Gesellschaft, die verfallene Burg 1911 erwarb und teilweise wieder aufbaute. Seit 1973 befindet sich die Anlage im Privatbesitz der Familien Allmers und Wulf, die dieses Stück mittelalterlicher Machtgeschichte bewahren.
Perfektes Timing: Spätsommer-Besuch und Weinfest
Für Besucher ist der Spätsommer der ideale Zeitpunkt. Das Wein- und Hoffest Ende August steht unmittelbar bevor und bietet eine perfekte Gelegenheit, die lokalen Weine der drei Alkener Lagen Bleidenberg, Burgberg und Hunnenstein zu probieren.
Der Zugang zur Burg ist unkompliziert. Von Koblenz aus sind es nur 26 Kilometer entfernt, idealerweise über die L208 durch das malerische Moseltal. Die Burg ist täglich von 10:00 bis 18:00 Uhr geöffnet, der Eintritt beträgt 5 Euro für Erwachsene.
Tipp: Besuchen Sie die Burg am frühen Vormittag oder späten Nachmittag, wenn das Licht die Weinberge golden färbt und Sie den Ort nahezu für sich allein haben. Die beste Aussicht genießen Sie vom Steingarten, wo auch Weinverkostungen angeboten werden.
Ein Besuch in Oberwesel mit seinen 16 erhaltenen mittelalterlichen Türmen lässt sich perfekt mit Alken verbinden und vervollständigt das Bild mittelalterlicher Verteidigungsarchitektur in der Region.
Während ich mit meiner Kamera den Sonnenuntergang über den geteilten Bergfrieden einfange, denke ich an das, was meine Frau Sarah immer sagt: Die wertvollsten Reiseerlebnisse findet man dort, wo die Reisebusse nicht halten. In einer Welt voller Overtourism ist Burg Thurant ein Relikt einer anderen Zeit – nicht nur durch ihr Alter, sondern durch die Ruhe, mit der sie ihre einzigartige Geschichte erzählt.