Der Morgennebel lichtet sich langsam über der Altstadt, als ich durch die schmale Häuserstraße schlendere. In Northeim, einer 27.522-Einwohner Kleinstadt in Niedersachsen, versteckt sich eines der dichtesten Fachwerkensembles Deutschlands: 360 historische Häuser auf gerade einmal 145,85 Quadratkilometern. Doch das Erstaunliche ist, wie wenige Menschen von diesem architektonischen Schatz wissen, der nur 30 Kilometer nördlich vom bekannten Göttingen liegt.
Früh am Morgen gehört die Stadt noch mir allein. Zwischen den kunstvoll verzierten Fachwerkhäusern mit ihren präzise angeordneten Balken spüre ich sofort: Hier schlägt ein authentisches Herz, das bisher vom Massentourismus verschont geblieben ist.
360 Fachwerkhäuser in 145 km²: Northeims verblüffende architektonische Dichte
Während Hornburg mit 400 Fachwerkhäusern bekannt wurde, beeindruckt Northeim mit seinen 360 erhaltenen Exemplaren durch eine bemerkenswerte Dichte. Ursprünglich standen hier sogar 550 Fachwerkhäuser – eine Konzentration, die selbst für Fachwerkstädte ungewöhnlich ist.
Vor dem Reddersen-Haus von 1420 bleibe ich stehen. Es gilt als ältestes erhaltenes Fachwerkhaus der Stadt und beherbergt heute die Touristeninformation. Die kunstvollen Schnitzereien im dunklen Holz erzählen von jahrhundertealtem Handwerk und Wohlstand.
In der Hagenstraße entdecke ich das Ackerbürgerhaus T aus dem Jahr 1575, dessen Name auf den T-förmigen Grundriss zurückgeht. Die sorgsam restaurierten Balken und Verzierungen zeugen vom einstigen Reichtum der Stadt im 16. Jahrhundert.
Fachwerk trifft Natur: Die versteckte Doppelidentität Northeims
Ähnlich wie Ilsenburg im Harz profitiert Northeim von seiner privilegierten Lage nahe dem Solling-Vogler-Naturpark. Von der Aussichtsplattform des Wiererturms bietet sich ein spektakulärer Blick auf Harz und Solling gleichzeitig – ein Naturpanorama, das nur 15 Gehminuten vom historischen Stadtkern entfernt ist.
Der Juni 2025 ist der perfekte Zeitpunkt für einen Besuch: Die Wälder des Solling stehen in voller Blütenpracht, während die Temperaturen angenehme 20-25°C erreichen – ideal für Stadterkundungen und Naturausflüge gleichermaßen.
„Die Northeimer sehen das Fachwerk gar nicht als besonders an. Sie leben einfach damit, während wir Besucher staunend durch die Straßen gehen und ständig nach oben schauen.“
Dieser Kontrast zwischen Alltagsleben und historischem Erbe macht den besonderen Reiz aus. Anders als im UNESCO-geschützten Goslar hat Northeim seinen authentischen Charakter ohne Massentourismus bewahrt.
Das älteste Fachwerkhaus von 1420: Zeuge einer jahrhundertealten Tradition
Im Gegensatz zu Peine konzentriert Northeim seinen historischen Reichtum auf eine kompaktere Fläche. Während ich durch die Breite Straße schlendere, fallen mir die stolzen Bürgerhäuser auf – Statussymbole wohlhabender Kaufleute aus vergangenen Jahrhunderten.
Das ehemalige Benediktinerkloster St. Blasien (gegründet um 1100) beherbergt heute das Standesamt und das BürgerBüro – ein faszinierender Kontrast zwischen mittelalterlicher Architektur und moderner Verwaltung. Die Kapelle mit ihrer historischen Inschrift aus dem 16. Jahrhundert ist ein verstecktes Kleinod.
In der Alten Wache, einem barocken Fachwerkbau aus dem 18. Jahrhundert, entdecke ich hinter dem Gebäude die gotische Kapelle St. Sebastian und Fabian. Heute dient das Ensemble als Seniorentreff – Geschichte wird hier gelebt, nicht nur bewahrt.
Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen
Der beste Zeitpunkt für einen Besuch ist früh am Morgen oder nach 17 Uhr, wenn die wenigen Tagestouristen bereits verschwunden sind. Parken Sie kostenlos am Münsterplatz und erkunden Sie die Stadt zu Fuß.
Anders als Friedrichroda mit seinen 420.000 Übernachtungen jährlich setzt Northeim nicht auf Massentourismus, sondern bietet authentische Erlebnisse für Entdeckungsreisende. Besorgen Sie sich einen Stadtplan in der Tourist-Information im Reddersen-Haus und erkunden Sie die Stadt auf eigene Faust.
Besichtigen Sie unbedingt das Theater der Nacht in der ehemaligen Feuerwache – ein kreatives Figurentheater, das weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt ist.
Als ich Northeim verlasse, nehme ich das Bild einer Stadt mit, die ihre Schätze nicht aufdringlich präsentiert, sondern sie für diejenigen bewahrt, die genau hinschauen. Meine Frau Sarah wird begeistert sein von den Fotomotiven der verschachtelten Fachwerkhäuser, während unsere Tochter Emma die Maskenbaukurse im Theater der Nacht lieben würde. Northeim ist wie ein gut gehütetes Familiengeheimnis – nur dass diese Familie aus 27.522 Menschen besteht, die zwischen 360 architektonischen Meisterwerken leben.