Dieses Mecklenburg-Vorpommern Schloss von 98.308 Einwohnern beherbergt seit 2024 ein UNESCO-Weltkulturerbe-Parlament

Mein Boot gleitet sanft über den Schweriner See, während die Morgensonne das imposante Märchenschloss in goldenes Licht taucht. Mit nur 98.308 Einwohnern ist Schwerin die kleinste Landeshauptstadt Deutschlands – doch was sie an Größe vermissen lässt, macht sie mit architektonischer Pracht wett. Seit 2024 trägt das „Neuschwanstein des Nordens“ offiziell den UNESCO-Weltkulturerbe-Titel, eine Auszeichnung, die selbst viele Deutsche überrascht. Diese Stadt ist ein perfekt gehütetes Geheimnis, nur 85 Kilometer westlich von Hamburg entfernt.

Das Neuschwanstein des Nordens versteckt ein echtes Parlament

Während ich durch die prächtigen Flure des Schlosses wandere, begegne ich Politikern mit Aktenmappen. Anders als bei anderen historischen Gebäuden Deutschlands, ist dieses Märchenschloss kein Museum – es beherbergt seit 1990 das Landesparlament von Mecklenburg-Vorpommern.

„Es gibt wohl keinen schöneren Arbeitsplatz für einen Abgeordneten“, verrät mir ein Mitarbeiter augenzwinkernd. Jährlich besuchen mehr als 200.000 Besucher das Schloss, während nebenan die Demokratie ihren Alltag lebt. Die prächtigen Säle mit ihren goldverzierten Decken und die imposante Ahnengalerie bilden eine surreale Kulisse für politische Entscheidungen.

Die Geschichte des Schlosses reicht bis ins Jahr 941 zurück, als hier eine slawische Burg stand. Das heutige Schloss, erbaut zwischen 1843-1857, gilt unter Experten als „das bedeutendste Bauwerk des Romantischen Historismus in Europa“. Selbst wenn andere historische Städte durch ihre Fachwerkbauten beeindrucken, bleibt Schwerin einzigartig durch seine Insellage.

7 Seen und ein UNESCO-Schloss: Deutschlands intimste Landeshauptstadt

Schwerin ist die einzige deutsche Hauptstadt, die vollständig von sieben Seen umgeben ist. Vom Schlossturm aus gleitet mein Blick über Wasserflächen, die 40% des Stadtgebiets ausmachen – mehr als in Venedig. Die Altstadt selbst liegt auf einer natürlichen Insel, verbunden mit dem Festland durch sieben Brücken.

Mit dem Fahrrad umrunde ich den Schweriner See und entdecke versteckte Buchten und Aussichtspunkte. Die herbstliche Färbung der Bäume spiegelt sich im Wasser und schafft ein Naturschauspiel, das Fotografen als „Schweriner Goldene Stunde“ bezeichnen. Ähnlich wie die Naturschönheiten auf Usedom zieht auch Schwerins Seenlandschaft Naturliebhaber an.

„In 30 Jahren Reisen durch Europa habe ich keinen vergleichbaren Ort gefunden – eine Märchenkulisse mit echtem Leben, ohne Touristenmassen. Im Herbst, wenn die Bäume golden werden und sich im See spiegeln, ist es magisch.“

Während ich durch die Schelfstadt, ein verstecktes barockes Viertel, schlendere, fällt mir auf, wie wenige Touristen hier unterwegs sind. In Mecklenburg-Vorpommern bewahrt man nicht nur in Schwerin, sondern auch in kleineren Orten wie Loddin die reiche Geschichte der Region.

Der Geist im Schloss: Petermännchen und andere Schweriner Mysterien

Ein lokaler Führer erzählt mir von „Petermännchen“, dem legendären Schlossgeist, der nachts Wache hält und nach verborgenen Schätzen in geheimen Gängen sucht. In den Schlossgewölben sollen sich noch heute unerforschte Tunnel aus der slawischen Zeit befinden.

Der Schweriner Dom, eine der ältesten Backsteinkirchen Norddeutschlands (erbaut 1165-1171), behauptete im Mittelalter, einen echten Tropfen Christi-Blut zu besitzen – was ihn zu einem bedeutenden Wallfahrtsort machte. Die Stadt beherbergt zudem über 20 Kirchen, eine erstaunliche Dichte für eine Stadt dieser Größe.

Herbst 2025: Perfekte Zeit für das Lichterglanzfest

Der beste Zugang zum Schloss erfolgt über die Werderstraße, wo Besucher kostenlos parken können. Kommen Sie früh am Morgen (vor 9 Uhr) oder am späten Nachmittag (nach 16 Uhr), um die besten Lichtverhältnisse für Fotos zu nutzen und Gruppen zu vermeiden.

Ende Oktober, wenn ich diesen Artikel schreibe, bereitet sich die Stadt auf das Lichterglanzfest vor. Tausende Lichter werden den See und das Schloss illuminieren – ein spektakuläres Ereignis, das ich mir nicht entgehen lassen möchte. Das Südufer des Schweriner Sees bietet übrigens die besten Sonnenuntergänge der Region, ist aber nur Einheimischen bekannt.

Während ich mit meiner Kamera die letzten Herbstfarben einfange, denke ich an meine Frau Sarah, die diese märchenhafte Kulisse lieben würde. Es fühlt sich an, als wäre ich in eines jener alten Bilderbücher eingetaucht, die meine Tochter Emma so gern vor dem Schlafengehen anschaut. Schwerin ist wie ein lebendig gewordenes Märchen – nur dass hier die Demokratie in einem Schloss residiert und der Schlossgeist keinen Dornröschenschlaf bewacht, sondern ein lebendiges, atmendes Kleinod deutscher Geschichte.