Dieses Mecklenburg-Vorpommern Dorf von 10252 Einwohnern verwandelt sich sommers in Deutschlands lauteste Piratenhauptstadt

Ich bin mit schmatzenden Geräuschen aufgewacht. Leicht verwirrt schaue ich zum Fenster meiner Unterkunft und entdecke ein Pferd, das genüsslich Äpfel vom Baum neben meinem Fenster frisst. Willkommen in Grevesmühlen, einer verschlafenen 10.252-Einwohner-Stadt in Mecklenburg-Vorpommern, die sich im Sommer in etwas völlig Unerwartetes verwandelt: Deutschlands heimliche Piratenhauptstadt – mit echten Kanonen, dramatischen Säbelkämpfen und erstaunlich wenig Touristen.

Nur 12 Kilometer von der Ostseeküste und 40 Kilometer von Lübeck entfernt, hat diese unscheinbare Kleinstadt ein Geheimnis, das selbst die meisten Deutschen nicht kennen. Ich bin hierher gekommen, um herauszufinden, warum eine Stadt, die normalerweise so friedlich ist, plötzlich von Kanonenlärm und Schlachtrufen erfüllt wird.

Piraten-Action in der 10.252-Einwohner-Stadt: Wenn Kanonen im Sommer donnern

„Du bist zu früh dran“, sagt mir ein freundlicher älterer Herr, als ich nach dem Piratenspektakel frage. „Aber komm heute Abend wieder – dann brennen wir die Stadt nieder.“ Er lacht und erklärt mir, dass ich das Piraten-Open-Air-Theater nicht verpassen darf, Deutschlands spektakulärstes maritimes Theatererlebnis.

Was dieses Theater so besonders macht: Es ist kein gewöhnliches Schauspiel mit Pappkulissen. Hier donnern echte Kanonen, galoppieren echte Pferde durch die Arena, und die Säbelkämpfe sind so choreografiert, dass sie selbst aus der Nähe verblüffend echt wirken. Mit einer Besucherzahl von nur 40-50 Gästen pro Vorstellung bleibt das Erlebnis intim – ein dramatischer Kontrast zu den überfüllten Touristenattraktionen an der Ostseeküste.

Während ich durch die Kulissen geführt werde, entdecke ich das ausgeklügelte Schiffswrack, das als Hauptbühne dient. „Jede Planke wurde von Hand bearbeitet“, erklärt mir der Bühnenmeister stolz. Die Liebe zum Detail ist beeindruckend – besonders wenn man bedenkt, dass diese spektakuläre Produktion in einer Stadt stattfindet, die kleiner ist als manche Wohnviertel in Berlin.

In 15 Jahren hat sich das Open-Air-Theater von einer lokalen Kuriosität zu einem kulturellen Highlight entwickelt, das trotzdem unter dem Radar der meisten Reiseführer geblieben ist. Selbst während der Hochsaison fühlt sich Grevesmühlen – oder „Kreihnsdörp„, wie es die Einheimischen liebevoll nennen – angenehm untouristisch an.

12 km zur Ostsee, 40 km zu Lübeck: Die perfekte Dreifach-Kombination

Während in Parchim die gotischen Backsteinkirchen dominieren, punktet Grevesmühlen mit lebendiger Geschichte und einer strategisch brillanten Lage. 12 Kilometer zur Ostsee, 20 Kilometer zum UNESCO-Weltkulturerbe Wismar und 40 Kilometer zur mittelalterlichen Schönheit Lübeck – perfekter könnte die Position kaum sein.

„Vor zehn Jahren kannte niemand unsere Stadt. Jetzt kommen Menschen, die bewusst die Hektik der Küstenorte meiden wollen. Sie genießen unser Piratentheater und können trotzdem morgens an der Ostsee schwimmen und abends durch unsere ruhigen Gassen spazieren.“

Der Vergleich mit dem dänischen Svaneke auf Bornholm drängt sich auf: Ähnlich groß, ähnlich historisch, ähnlich unentdeckt. Doch während Wolgast mit seiner beeindruckenden Klappbrücke Schifffahrtsgeschichte schreibt, setzt Grevesmühlen auf maritime Kultur der actionreicheren Art.

Im Gegensatz zu den überlaufenen Stränden, wo Touristen um jeden Quadratmeter kämpfen, bietet Grevesmühlen eine ruhige Basis für Erkundungen. Von hier aus erreicht man problemlos die Küste, ohne die überhöhten Übernachtungspreise der Strandorte zahlen zu müssen – 40% günstiger als direkt an der Ostsee.

Die vergessenen Megalithgräber: Mystische Zeitreise im Everstorfer Forst

Am nächsten Morgen folge ich einem anderen Geheimtipp: Den Megalithgräbern im Everstorfer Forst. Während im westfälischen Geseke Hexentraditionen lebendig gehalten werden, hütet der Everstorfer Forst bei Grevesmühlen uralte Steingeheimnisse – weitgehend unbesucht und mysteriös.

Auf kaum ausgeschilderten Pfaden entdecke ich massive Steinformationen, die über 5.000 Jahre alt sind. Nur das gelegentliche Vogelzwitschern durchbricht die Stille. Ich treffe während meiner zweistündigen Wanderung nicht einen einzigen anderen Besucher – ein Luxus, den man an bekannteren prähistorischen Stätten längst vergessen kann.

Insider-Tipps für den perfekten Sommer-Besuch 2025

Die beste Zeit für einen Besuch ist Juni bis August, wenn das Piraten-Open-Air in voller Aktion ist. Buchen Sie Tickets mindestens zwei Wochen im Voraus – trotz der geringen Besucherzahlen sind die besten Plätze schnell vergriffen. Parken Sie kostenlos am Ploggensee und genießen Sie den kurzen Spaziergang durch die Altstadt.

Für maritime Enthusiasten bietet sich eine perfekte Kombination an: Nach dem Piratenspektakel in Grevesmühlen lohnt ein Abstecher nach Rostock, wo europaweit einzigartige Segelschiffe bestaunt werden können. Die Kombination beider Erlebnisse schafft einen maritimen Rundumschlag, der sowohl historisch als auch spektakulär ist.

Als ich Grevesmühlen verlasse, denke ich an die Worte meiner Frau Sarah, die als Fotografin ein Auge für versteckte Schönheit hat: „Die besten Entdeckungen macht man an Orten, die niemand auf dem Radar hat.“ Diese unscheinbare 10.252-Einwohner-Stadt mit ihrer Mischung aus friedlicher Kleinstadtidylle und dramatischem Piratenabenteuer beweist einmal mehr, dass Deutschland abseits der ausgetretenen Pfade seine faszinierendsten Geschichten erzählt.