Dieses hessische Städtchen von 22.782 Einwohnern versteckt Deutschlands ältestes Barbarossa-Steinhaus seit 835 Jahren

Ich bleibe wie angewurzelt stehen, als das Sonnenlicht auf die altrosa Fassade des Gebäudes vor mir fällt. Hier, im 22.782 Einwohner zählenden Seligenstadt, nur 45 Minuten östlich von Frankfurt, stehe ich vor einem authentischen Stück deutscher Kaisergeschichte. Das unscheinbare Steingebäude vor mir, versteckt zwischen Fachwerkhäusern, ist exakt der Ort, an dem Kaiser Friedrich Barbarossa 1188 seinen berühmten Hoftag abhielt. Sarah fotografiert die feinen romanischen Rundbogenfenster, während ich fassungslos realisiere: Millionen Touristen strömen jährlich nach Speyer oder Aachen – und übersehen dieses kaiserliche Juwel komplett.

Das 835 Jahre alte Steinhaus, in dem Barbarossa persönlich regierte

Die „domus lapidea“ – lateinisch für Steinhaus – wurde 1186-1187 errichtet und ist damit Deutschlands ältestes erhaltenes romanisches Wohnhaus. Im 12. Jahrhundert war ein Steingebäude ein solcher Luxus, dass nur höchste Würdenträger wie kaiserliche Vögte sich solche Bauten leisten konnten.

Der historische Wert dieses Ortes ist kaum zu überschätzen. Während die berühmte Erfurter Altstadt für ihren mittelalterlichen Judenschatz bekannt ist, bewahrt Seligenstadt den exakten Ort, an dem einer der berühmtesten deutschen Kaiser direkt herrschte.

Die Wände, an denen ich ehrfürchtig entlangstreiche, haben Barbarossa selbst gesehen. Im Jahr 1188 versammelte der Kaiser hier seinen Hofstaat, um wichtige Reichsangelegenheiten zu besprechen – ein historisches Ereignis, das die Bedeutung dieses kleinen Mainufer-Städtchens unterstreicht.

„Man spürt die Geschichte hier in jeder Ecke. Anders als in den überlaufenen Touristenstädten kann man in Seligenstadt noch in Ruhe die Vergangenheit atmen. Genau hier saß der Kaiser – dieses Gefühl ist unbezahlbar.“

Wie ein kleines Städtchen am Main ein kaiserliches Geheimnis bewahrte

Seligenstadt liegt strategisch am Mainufer, nur 25 Kilometer südöstlich von Frankfurt. Während Fritzlar in Nordhessen für seine denkmalgeschützten Fachwerkhäuser berühmt ist, trumpft Seligenstadt mit einem noch selteneren Schatz auf: direktem Barbarossa-Erbe.

Nach erfolgreicher Restaurierung erhielt das Gebäude 1986 den Denkmalschutzpreis des Landes Hessen. Was mich besonders beeindruckt: Das Romanische Haus ist heute Standesamt. Paare können buchstäblich dort heiraten, wo einst der Kaiser Hof hielt – ein faszinierender Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

Die Fassade zeigt den typischen romanischen Stil mit symmetrischen Rundbogenfenstern. Ich erfahre, dass das Gebäude fast exakt im Zentrum eines nicht mehr sichtbaren römischen Kastells liegt. Die Römer wussten bereits vor 2000 Jahren, dass dieser Ort strategisch wertvoll war.

Die umgebende Altstadt mit ihren wunderschönen Fachwerkhäusern aus dem 17. und 18. Jahrhundert bildet einen malerischen Kontrast zum steinernen Zeitzeugen des Mittelalters – ähnlich wie Wolfenbüttel seine historische Bausubstanz bewahrt hat, nur dass Seligenstadt deutlich weniger überlaufen ist.

Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen

Der beste Zeitpunkt für einen Besuch ist früh morgens oder nach 16 Uhr, wenn die wenigen Tagestouristen bereits weitergezogen sind. Parken Sie kostenlos am Parkplatz Stadtmauer und erreichen Sie das Romanische Haus nach einem 5-minütigen Spaziergang durch die Altstadt.

Kombinieren Sie Ihren Besuch mit einer Tour durch die Benediktinerabtei aus dem 9. Jahrhundert, die nur 200 Meter entfernt liegt. Der dazugehörige Klostergarten mit seinem Apothekergarten ist besonders im Spätsommer ein verstecktes Paradies.

Für die perfekte Perspektive auf das Romanische Haus stellen Sie sich an die Ecke der Großen Rathausgasse – von hier sehen Sie das Gebäude genau so, wie es seit Jahrhunderten das Stadtbild prägt. Versuchen Sie auch, einen Blick ins Innere zu werfen, wo 35 Sitzplätze für Trauungen bereitstehen.

Als ich mit Emma durch die engen Gassen schlendere, denke ich an all die Millionen Touristen, die jährlich deutsche Kaiserdome und Burgen besuchen, während dieses authentische Stück Kaisergeschichte weitgehend unentdeckt bleibt. Seligenstadt ist wie ein offenes Geschichtsbuch – nur muss man wissen, wo man es aufschlagen soll. Während in Speyer und Aachen die Massen den Kaiserdomen huldigen, kann man hier, wo der Kaiser tatsächlich lebte und regierte, Geschichte in Stille erleben. Eine Seltenheit in unserer überlaufenen Welt, die es zu schätzen gilt.