Ich stehe am Ufer eines schmalen Spreewaldkanals im Städtchen Vetschau. Die morgendliche Nebelschwaden hängen noch über dem Wasser, während die 7.635 Einwohner zählende Gemeinde langsam erwacht. Was die wenigsten Deutschlandreisenden wissen: In diesem unscheinbaren Brandenburg-Ort steht die größte originalgetreue Nachbildung einer slawischen Fluchtburg mit einem beeindruckenden Ringwall von 57 Metern Durchmesser. Und das Timing könnte nicht besser sein – Vetschau bereitet sich auf sein 475-jähriges Stadtwappen-Jubiläum im Jahr 2025 vor.
Warum Archäologen heimlich nach Vetschau pilgern: Die Slawenburg mit 57m Ringwall-Durchmesser
Die Slawenburg Raddusch erhebt sich majestätisch am Rande des Spreewalds. Mit ihrem 10 Meter breiten und 9 Meter hohen Ringwall ist sie ein architektonisches Meisterwerk, das die Geschichte der frühen Slawen in dieser Region lebendig werden lässt.
Zufällig entdeckt wurde die ursprüngliche Anlage erst 1984, als der Braunkohletagebau früher als geplant eingestellt wurde. Ein seltener Glücksfall für die Archäologie. Heute beherbergt die Rekonstruktion eine der modernsten archäologischen Dauerausstellungen Deutschlands.
Was die Burg so besonders macht: Sie ist kein Fantasiegebäude, sondern basiert auf millimetergenauen archäologischen Befunden. Selbst die ursprüngliche Grabenstruktur wurde exakt nachgebildet. Während ich durch das massive Holztor trete, fühle ich mich um 1.000 Jahre zurückversetzt.
„Wir haben hier keinen Vergnügungspark, sondern ein Stück lebendige Geschichte,“ erklärt mir ein älterer Herr, dessen Familie seit Generationen in der Gegend lebt. „Die meisten Besucher fahren nach Lübbenau für ihre Kahnfahrten, aber die echte slawische Seele des Spreewalds finden Sie hier.“
Zeitlich begrenzte Chance: Die 475-Jahre Jubiläumsfeier und die Schloss-Wiedereröffnung 2025
Nur 2,5 Kilometer von der Slawenburg entfernt steht das Renaissance-Schloss Vetschau, das 1540 errichtet wurde. Nach umfangreichen Restaurierungsarbeiten, die im Herbst 2024 abgeschlossen sein sollen, wird es pünktlich zum Jubiläumsjahr wiedereröffnet.
„Unser Schloss ist unser Mittelalter-Labor. Hier zeigen wir nicht nur Geschichte, wir lassen Besucher durch die Originalgewölbe des 16. Jahrhunderts atmen.“
Die Kombination aus slawischer Burg und Renaissance-Schloss macht Vetschau einzigartig. Während Neuruppin mit seinem Apollotempel die klassizistische Architektur Brandenburgs repräsentiert, bewahrt Vetschau die viel ältere slawisch-deutsche Kultursymbiose.
Besucher haben 2025 die seltene Gelegenheit, an den limitierten Schloss-Baustellenführungen teilzunehmen. Nur 324 Besucherslots sind verfügbar – eine Zahl, die symbolisch der Anzahl der Storchpaare in der Region entspricht.
Wie eine 7.635-Einwohner Stadt die UNESCO-Anerkennung anstrebt
Die UNESCO erwägt für 2026 eine Erweiterung des Biosphärenreservats Spreewald um die Slawenburg-Region als „Kulturlandschaft mit mittelalterlichem Bodendenkmal“. Dies würde Vetschau vom Geheimtipp zum internationalen Kulturtourismus-Magneten machen.
Im Gegensatz zu Eberswalde mit seinem berühmten Bronzezeit-Goldschatz setzt Vetschau auf lebendiges Kulturerbe. Die sorbische Minderheit pflegt hier aktiv ihre Traditionen – von Trachten bis zur Sprache.
Während Prag jährlich 8 Millionen Touristen anzieht, erleben in Vetschau nur etwa 70.000 Besucher die gleiche slawische Kulturgeschichte in authentischerer Form. Ein Verhältnis, das sich bald ändern könnte.
Der perfekte Spätsommer-Besuch 2025: Unberührter Spreewald ohne Touristenmassen
Der beste Zugang zur Slawenburg Raddusch erfolgt über die L49 mit kostenlosem Parken direkt am Gelände. Besuchen Sie die Burg idealerweise am frühen Morgen (Öffnung 10 Uhr) oder am späten Nachmittag kurz vor 17 Uhr, wenn das Sonnenlicht durch die Bäume bricht und eine mystische Atmosphäre schafft.
Kombinieren Sie Ihren Besuch mit einer traditionellen Kahnfahrt – im Gegensatz zu Glowe auf Rügen, das in der Sommersaison von 88.000 Besuchern überrannt wird, bleiben die Wasserstraßen bei Vetschau selbst im Hochsommer relativ ruhig.
Verpassen Sie nicht die „Wendische Bäckerei“ in der Marktstraße, wo traditionelle slawische Gebäcke wie „Pulka“ (Weißbrot) nach jahrhundertealten Rezepten gebacken werden.
Als ich am Ende meines Besuchs mit meiner Frau Sarah durch den Schlosspark spaziere, verstehe ich, warum dieser Ort so besonders ist. Vetschau ist wie ein gut gehütetes Familiengeheimnis – wertvoll nicht wegen seiner Bekanntheit, sondern wegen seiner Authentizität. Es ist ein Ort, wo die slawische Seele des Spreewalds noch atmet, unberührt vom Massentourismus, der andere historische Perlen längst verwässert hat. Wer jetzt kommt, erlebt ein Juwel kurz bevor es entdeckt wird – eine seltene Gelegenheit in unserer übertourisierten Welt.