Dieses bayerische Weindorf von 3.350 Einwohnern versteckt 220 Millionen Jahre alten Quaderkalk

Der Nebel verzieht sich langsam über den Weinbergen, als ich frühmorgens in Randersacker ankomme – nur 4 Kilometer südlich von Würzburg, aber eine Welt entfernt vom Touristentrubel. Unter meinen Füßen liegt ein geologisches Weltwunder: 220 Millionen Jahre alter Muschelkalk mit einzigartiger Würfelstruktur, der nur auf diesem schmalen Streifen zwischen Rothenburg und Würzburg existiert. „Quaderkalk“ nennen ihn die Einheimischen. Was diesen 3.350-Einwohner Ort zu einem der faszinierendsten versteckten Juwelen Deutschlands macht, sind nicht prunkvolle Schlösser, sondern die Verbindung zweier Naturwunder: außergewöhnliche Geologie und tiefwurzelnde Weinreben.

Das unterirdische Geheimnis des fränkischen Weins

Im Lindelbacher Steinbruch stehe ich vor schachbrettartigen Kalkwänden und verstehe plötzlich, warum man diesen Stein einst für prominente Gebäude weltweit verwendete. Die würfelförmigen Gesteinsformationen entstanden durch Ablagerungen eines Urmeeres und bilden heute ein weltweit einzigartiges Naturphänomen. Während in Geising vulkanische Formationen die Landschaft prägen, sind es hier die regelmäßigen Kalksteinwürfel, die Geologen aus aller Welt faszinieren.

Was viele nicht wissen: Die Weinreben Randersackers wurzeln bis zu 10 Meter tief durch diesen Kalkstein. Diese Tiefenwurzeln verleihen dem Wein seine einzigartige Mineralität. Ein lokaler Winzer zeigt mir eine freigelegte Rebwurzel, die sich wie ein Labyrinth durch den porösen Kalk schlängelt – eine natürliche Symbiose, die so nirgendwo sonst existiert.

„Jeder Schluck erzählt die Geschichte von 220 Millionen Jahren. Unser Wein trägt das Geheimnis des Urmeeres in sich – eine Rarität, die man nur hier schmecken kann.“

Warum Randersacker die Toskana übertrifft

Während Würzburgs Altstadt von Touristengruppen überlaufen wird, begegne ich hier auf meiner morgendlichen Wanderung nur einem einzigen Fotografen. Die Weinberge, die sich über 16,26 Quadratkilometer erstrecken, bieten eine Authentizität, die in bekannteren Weinregionen längst verloren gegangen ist. Während Kiedrich im Rheingau oft als ‚deutsche Toskana‘ bezeichnet wird, besitzt Randersacker etwas viel Selteneres: eine geologische Einzigartigkeit, die es nur einmal auf der Welt gibt.

Besonders beeindruckend ist der Kartoffelturm – einst als NS-Propaganda-Bauwerk errichtet, heute ein Symbol der Transformation. Von seiner Aussichtsplattform überblicke ich die Landschaft, die hier Geschichte und Geologie vereint. Die einstigen Hakenkreuze wurden entfernt, stattdessen erhebt sich der Turm heute als Teil der „Magischen Orte des Frankenweins“.

Im ehemaligen Steinbruch, wo einst Baumaterial für berühmte Gebäude wie die Grand Central Station in New York gewonnen wurde, wandere ich heute durch ein stilles Naturdenkmal. Die Kombination aus Industriegeschichte und renaturierter Landschaft schafft eine faszinierende Atmosphäre. Ähnlich wie in Bingen am Rhein spielt die Kombination aus Landschaft und Kulturgeschichte eine zentrale Rolle für das authentische Besuchserlebnis.

Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen

Der ideale Besuch beginnt am frühen Morgen, wenn Nebelschwaden zwischen den Weinreben hängen und das Licht die Kalksteinformationen golden färbt. Parken Sie kostenlos am Fuße des Weinbergs und folgen Sie dem unbeschilderten Pfad hinter dem Rathaus – die Einheimischen nennen ihn „Rebsteig“.

Die beste Zeit für Randersacker ist der Sommer 2025 – ideal für Weinwanderungen entlang der ehemaligen Steinbruchrouten. Während nur wenige Kilometer entfernt Nordheim am Main ähnliche Rebflächen kultiviert, bietet Randersacker zusätzlich die faszinierende Terroirführung, bei der Experten die Verbindung zwischen Kalkstein und Weinreben erklären.

Im „Haus der edlen Brände“ können Sie nach Vereinbarung handwerklich hergestellte Obstbrände probieren – ein Geheimtipp, den selbst viele Würzburger nicht kennen. Die Kombination aus fränkischer Brennkunst und dem mineralischen Untergrund schafft Aromen, die man so nirgendwo sonst findet.

Als ich mit Sarah und unserer kleinen Emma zum Auto zurückkehre, blicke ich noch einmal zurück auf die schimmernden Kalksteinwände. Randersacker ist wie ein aufgeschlagenes Geologiebuch, in dem jede Seite von Menschenhand veredelt wurde. In einer Welt überlaufener Touristenmagnete wirkt dieser Ort wie ein gut gehütetes Geheimnis – eine fränkische Schatzkammer, die ihre wertvollsten Juwelen nur denen offenbart, die genau hinschauen.