Die Morgensonne lässt die Weinberge in goldenes Licht tauchen, als ich die kleine Mainfähre „Mainkuh“ besteige. Nur 300 Einwohner nennen Escherndorf ihr Zuhause, doch dieser winzige Ort am Main produziert einige der begehrtesten Weine Deutschlands. Was von weitem wie ein gewöhnliches fränkisches Dörfchen wirkt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als wahre Sensation der Weinwelt. Die berühmte Weinlage „Escherndorfer Lump“ mit bis zu 70 Prozent Hangneigung liegt direkt über dem Ort – und genau jetzt im September beginnt hier die magische Zeit des Weinherbstes.
Ein Dorf mit 300 Einwohnern produziert einige der besten Weine Deutschlands
Der Kontrast ist atemberaubend: Während im berühmten Rheingau über 25.000 Menschen leben, schaffen es die wenigen hundert Escherndorfer, Weine von internationalem Rang zu erzeugen. „Wir haben mehr als 15 Weingüter im Ort – das entspricht etwa einem Weingut pro 20 Einwohner“, erklärt mir der Winzer, während er mich durch die Steillage führt.
Besonders beeindruckend ist die Weinlage „Escherndorfer Lump“, die sich über 45 Hektar erstreckt und sich durch ihr einzigartiges Mikroklima auszeichnet. Die steilen Hänge speichern die Sonnenwärme und erzeugen bis zu 3 Grad höhere Temperaturen als im Tal – perfekte Bedingungen für außergewöhnliche Weine. Vier Escherndorfer Weingüter gehören dem prestigeträchtigen VDP (Verband Deutscher Prädikatsweingüter) an – bei der Ortsgröße ein rekordverdächtiger Anteil.
Wie auch im nahegelegenen Castell mit seiner historischen Bank zwischen mittelalterlichen Weinbergen, spielt hier die Geschichte eine wichtige Rolle. Der Name „Lump“ stammt übrigens nicht – wie man vermuten könnte – von etwas Minderwertigen, sondern bedeutet im fränkischen Dialekt einfach „Hügel“ oder „Erhebung“.
Der ‚Escherndorfer Lump‘: Warum diese steile Weinlage so berühmt ist
Die Steillage des Lumps erscheint wie ein natürliches Amphitheater zum Main hin. Der Muschelkalkboden und die perfekte Südausrichtung schaffen ideale Bedingungen für Silvaner und Riesling. Die Lage war übrigens 1851 nur 0,6 Hektar groß und hat sich seitdem um das 75-fache vergrößert – ein Zeichen für ihren außergewöhnlichen Erfolg.
„Wer einmal im Herbst durch diese Weinberge gewandert ist und den Wein direkt vom Winzer probiert hat, versteht, warum wir hier so stolz auf unsere Arbeit sind. Es ist eine Verbindung von Landschaft, Handwerk und Genuss, die man selten findet.“
Während der Escherndorfer Lump durch seine extreme Steillage beeindruckt, finden Weinliebhaber in Boppard am Rhein Deutschlands größtes zusammenhängendes Steillagen-Weinbaugebiet – eine interessante Alternative für Steillagen-Enthusiasten. Doch der Lump besticht durch seine Intimität und die besondere Qualität der hier angebauten Rebsorten.
Sofort fallen mir die typischen fränkischen Bocksbeutel auf – die traditionellen bauchigen Flaschen, die ausschließlich in Franken verwendet werden dürfen. Ihre Form geht auf mittelalterliche Pilgerflaschen zurück und ist heute das unverkennbare Symbol für die Region.
September bis November: Die perfekte Zeit für authentische Weinerlebnisse
Mein Besuch könnte zeitlich nicht besser fallen. Gerade jetzt im September beginnt der Escherndorfer Weinherbst, ein lokales Weinfest, das jeden Samstag bis Mitte November in der Festhalle stattfindet – deutlich länger als das kommerzielle Oktoberfest und mit authentischerem Charakter.
Die Weinlese hat begonnen, und die Weinberge zeigen erste herbstliche Farben. Es herrscht geschäftiges Treiben, Winzer arbeiten in den steilen Hängen, und der Duft von frisch gepresstem Traubensaft liegt in der Luft. Für Sarah, meine Frau und Fotografin, ist dies ein Traum – das goldene Licht auf den Rebstöcken schafft atemberaubende Bilder.
Nur 22 Kilometer entfernt finden Sie Dettelbach mit seinen mittelalterlichen Wehrtürmen zwischen fränkischen Weinbergen – ein idealer Stopp für eine größere Entdeckungstour durch Frankens versteckte Weindörfer.
Die Mainfähre ‚Mainkuh‘: Wie man Escherndorf am besten erreicht
Die charmanteste Anreise nach Escherndorf erfolgt definitiv über die Mainfähre „Mainkuh“, die zwischen Nordheim und Escherndorf pendelt. Diese schwimmende Brücke ist nicht nur ein praktisches Verkehrsmittel, sondern ein Erlebnis für sich. Der Fahrpreis beträgt nur 1,50 € pro Person (mit Fahrrad 2,00 €) und die Fähre verkehrt von 6:00 bis 21:00 Uhr.
Mein Insidertipp: Besuchen Sie Escherndorf am frühen Morgen, wenn Nebelschwaden über dem Main liegen, oder zum Sonnenuntergang, wenn die Weinberge im goldenen Licht erstrahlen. Der beste Aussichtspunkt ist die moderne Plattform „Magischer Ort des Frankenweins“, die 2012 errichtet wurde und einen spektakulären Blick über die Mainschleife bietet.
Während ich auf der Fähre zurück nach Nordheim gleite, denke ich, dass Escherndorf die perfekte Antithese zum Massentourismus darstellt. Es ist ein Ort, der seine Seele bewahrt hat – ein kleines Dorf, das große Weine produziert. In einer Welt voller lauter, überfüllter Destinationen ist dieser ruhige Flecken Franken wie ein wohlgehütetes Geheimnis, das nur darauf wartet, von denen entdeckt zu werden, die das Authentische zu schätzen wissen.