Diese sächsische Stadt von 20.000 Einwohnern versteckt die weltweit erste protestantische Kirche

Die Turmuhr schlägt gerade 9 Uhr, als ich unter dem imposanten Torbogen in Torgau stehe. Vor mir breitet sich eine der besterhaltenen Renaissance-Städte Deutschlands aus – mit über 500 denkmalgeschützten Gebäuden in einer Stadt von gerade einmal 20.000 Einwohnern. Das wahre Juwel aber entdecke ich erst beim Betreten von Schloss Hartenfels: die weltweit erste protestantische Kirche, persönlich von Martin Luther im Jahr 1544 eingeweiht.

Die weltweit erste protestantische Kirche versteckt sich in dieser 20.000-Einwohner Stadt

Während sich Touristenmassen durch Wittenberg drängen, bleibt Torgau ein Geheimtipp. Die Schlosskapelle von Hartenfels ist dabei nicht irgendein Kirchenbau – sie ist das historische Original der protestantischen Kirchenarchitektur. Luther selbst predigte hier zur Einweihung und betonte die revolutionäre Neuausrichtung des Kirchenraums.

Der Schlossturm bietet einen atemberaubenden Blick über die Elbe und das rote Dächermeer der Stadt. Von hier oben sieht man, warum Torgau als „Florenz der Reformation“ bezeichnet werden könnte – nirgendwo sonst in Deutschland ist das Renaissance-Ensemble so vollständig erhalten.

Was diesen Ort besonders macht: Luther besuchte Torgau mehr als 60 Mal, häufiger als jede andere Stadt außer Wittenberg. Seine Frau Katharina von Bora verstarb hier nach einem Unfall. Ihr Grabmal in der Marienkirche und das kleine Museum in ihrem Sterbehaus erzählen von dieser persönlichen Verbindung.

Renaissance-Architekturjuwel: Schloss Hartenfels mit 500+ denkmalgeschützten Bauten

Ich treffe auf einen älteren Herrn, der vor dem Großen Wendelstein – einer fast 20 Meter hohen freitragenden Wendeltreppe aus Sandstein – ehrfürchtig stehenbleibt. Er ist Architekt aus Berlin und besucht Torgau seit 30 Jahren.

„In Dresden und Weimar wird man von Touristenmassen erdrückt. Hier in Torgau erlebe ich die Renaissance so authentisch, als wäre ich selbst im 16. Jahrhundert. Diese architektonische Dichte findest du nirgendwo sonst in Deutschland – und das fast ohne andere Touristen.“

Er hat recht. Während Weimar für seine hohe Kulturdichte bekannt ist, überrascht Torgau mit einem der besterhaltenen Renaissance-Ensembles Deutschlands. Im Schloss kann man noch die original erhaltenen Prunkräume besichtigen, und auch die echten Braunbären im Schlossgraben – eine jahrhundertealte Tradition.

Während Görlitz mit 4.000 denkmalgeschützten Gebäuden als Filmkulisse berühmt wurde, beeindruckt Torgau besonders durch seine authentische Renaissance-Architektur und die direkte Luther-Verbindung. Kaum zu glauben, dass diese Stadt nur etwa 50 Kilometer nördlich von Leipzig liegt.

Luthers persönliches Vermächtnis: Der perfekte Herbstbesuch

Der goldene Herbst verwandelt Torgau in ein Farbenmeer. Die beste Zeit für einen Besuch ist jetzt – von Mitte September bis Ende Oktober. Die Touristenmassen des Sommers sind verschwunden, die Renaissance-Fassaden leuchten im warmen Sonnenlicht, und die Elbauen präsentieren sich in herbstlichen Farben.

Ein Höhepunkt ist das bevorstehende Stadtfest „Torgau leuchtet“ vom 26. bis 28. September 2025. Die gesamte historische Altstadt wird dann in ein Lichtermeer getaucht. Die Lichterparade am 27. September um 19 Uhr ist besonders für Familien ein Erlebnis – meine Tochter Emma wäre begeistert.

Während Goethe Ilmenau regelmäßig besuchte, war Torgau für Martin Luther ein noch wichtigerer Aufenthaltsort. Die Stadt wurde zum politischen Zentrum der Reformation – hier entstand 1530 das Torgauer Bekenntnis, eine Vorarbeit für die berühmte Augsburger Konfession.

Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen

Der beste Zugang ist über den großen Parkplatz am Schloss (2 Euro/Tag) oder kostenlos am Elbkai. Besuchen Sie die Schlosskapelle morgens vor 11 Uhr, wenn das Licht durch die originalen Glasfenster fällt und die Akustik besonders beeindruckend ist.

Wenige wissen, dass der älteste Spielzeugladen Deutschlands – Carl Loebner, gegründet 1685 – sich in der Bäckerstraße befindet. Die Mohrenapotheke gehört zu den ältesten Apotheken Sachsens. Beide sind lebendige Zeugnisse der erstaunlich kontinuierlichen Geschichte Torgaus.

Nach einem intensiven Tag voller Geschichte und Architektur empfehle ich einen Spaziergang entlang der Elbe bei Sonnenuntergang. Während Sarah ihre Kamera zücken würde, um die goldenen Lichter auf den Renaissance-Fassaden festzuhalten, genieße ich einfach den Moment, an einem Ort zu stehen, der die Weltgeschichte veränderte – und trotzdem seine Seele bewahrt hat.

In einer Welt überlaufener Touristenziele ist Torgau wie ein gut gehütetes Geheimnis, das nur darauf wartet, von denjenigen entdeckt zu werden, die bereit sind, abseits der bekannten Pfade zu wandeln. Die Zeit scheint hier langsamer zu vergehen, während die Geschichte greifbarer ist als anderswo.