Der Zug gleitet sanft in den Bahnhof von Bad Soden am Taunus ein. Durch das Fenster erblicke ich bereits die Kontraste, die diese Stadt mit nur 23.162 Einwohnern auf einer kompakten Fläche von 12,5 Quadratkilometern zu einem architektonischen Wunderland machen. Während mein Blick über die Hügel des Taunus schweift, zeichnet sich das farbenprächtige Hundertwasserhaus gegen den Horizont ab – ein kühner Kontrast zu den eleganten Kurgebäuden aus dem 19. Jahrhundert, die von 300 Jahren Kurgeschichte zeugen.
Es ist früher Nachmittag, und ich bin hier, um ein Geheimnis zu lüften: Wie kann ein kleiner hessischer Kurort gleichzeitig jahrhundertealte Heiltraditionen und avantgardistische Architektur so harmonisch vereinen? Die Antwort liegt in den zehn historischen Salzquellen, die seit 1567 dokumentiert sind und das Fundament für Bad Sodens ungewöhnlichen Charakter bilden.
Architektonischer Schatz: Wo Hundertwasser auf 300-jährige Kurgeschichte trifft
Mein Weg führt mich zunächst zum symbolträchtigen Hundertwasserhaus, dessen farbenfrohe Fassade mit unregelmäßigen Linien und verspielten Formen die strenge Geometrie der umgebenden Bauten durchbricht. Die Philosophie des österreichischen Künstlers Friedensreich Hundertwasser – keine geraden Linien, organische Formen, intensive Farben – manifestiert sich hier inmitten einer Stadt, die von klassizistischen Kurbauten geprägt ist.
Nur 800 Meter entfernt steht das 1871 erbaute historische Badehaus im Alten Kurpark, ein Zeugnis der blühenden Kurkultur des 19. Jahrhunderts. Während andere hessische Orte wie Spangenberg mit seiner beeindruckenden Fachwerkdichte auf historische Kontinuität setzen, hat Bad Soden den mutigen Schritt gewagt, Tradition und künstlerische Innovation zu verbinden.
Der 1823 angelegte Alte Kurpark empfängt mich mit exotischen Bäumen und verschlungenen Wegen. Ein älterer Herr auf einer Bank nickt mir zu und bemerkt: „In Bad Homburg muss man Schlange stehen, um einen ruhigen Moment zu finden. Hier kann man noch den Vögeln lauschen.“
Verborgen im Taunus: 10 historische Brunnen auf 12,5 Quadratkilometern
Was Bad Soden wirklich besonders macht, ist die Dichte seiner historischen Salzquellen. Auf gerade einmal 12,5 Quadratkilometern finden sich zehn historische Brunnen, die einst für die Salzgewinnung und später für Heilzwecke genutzt wurden. Die Solquelle Nr. IV, nachweislich seit 1567 dokumentiert, steht als stilles Zeugnis dieser reichen Geschichte.
Im Quellenpark entdecke ich den Sodenia-Pavillon, 2017 liebevoll restauriert, mit der namensgebenden Quellgöttin als Wahrzeichen. Die ehemalige Holz-Trinkhalle von 1883, heute eine Tanzschule, erinnert an die Blütezeit des Kurbetriebs. Während Bad Kreuznach mit Europas größtem Freiluftinhalatorium wirbt, setzt Bad Soden auf intime Begegnungen mit seiner Kurgeschichte.
„Man kann hier die Schichten der Zeit wie in einem offenen Buch lesen. Von den alten Salzschaufeln im Museum bis zum Hundertwasserhaus – alles erzählt eine Geschichte von Heilung und Erneuerung.“
Diese Authentizität spüre ich beim Gang durch den Wiesenbrunnen, wo Relikte der frühen Salzgewinnung an die industrielle Vergangenheit erinnern. Anders als in überlaufenen Touristenorten wie Bad Homburg hat Bad Soden seine ursprüngliche Seele bewahrt.
Vom Salz zur Kunst: Wie Bad Soden seine Kontraste kultiviert
Die Geschichte Bad Sodens ist eine von Transformation. Vom mittelalterlichen Reichsdorf über die Salzgewinnung zum eleganten Kurort und schließlich zur Stadt, die Tradition und künstlerische Innovation vereint. Besonders faszinierend ist der Kontrast zwischen dem 1680 von David Malapert errichteten Salinenbau und dem modernen Hundertwasserhaus.
Die kreative Ader in Hessen zeigt sich nicht nur in Bad Sodens Architektur, sondern auch in anderen Orten wie Geisenheim, wo lokales Handwerk weltweite Bedeutung erlangt hat. Doch kaum ein Ort vereint Heiltraditionen und moderne Kunst so gekonnt wie Bad Soden.
Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen
Der beste Zugang zu Bad Sodens architektonischen Kontrasten beginnt am Bahnhof, von wo aus Sie in 10 Minuten zu Fuß den Alten Kurpark erreichen. Kostenlose Parkplätze finden Sie am Stadtrand, aber der Ort lässt sich am besten zu Fuß erkunden.
Besuchen Sie den Burgbergturm sonntags zwischen 14 und 17 Uhr im Sommer, wenn die Aussichtsplattform geöffnet ist. Der Blick über die Stadt offenbart den faszinierenden Kontrast zwischen dem Hundertwasserhaus und den historischen Kurgebäuden besonders eindrucksvoll.
Für ein authentisches Erlebnis folgen Sie dem Architekturpfad, der Sie vom Alten Rathaus aus dem 16. Jahrhundert über den Quellenpark mit dem Sodenia-Pavillon bis zum Hundertwasserhaus führt – eine Zeitreise durch 300 Jahre Baugeschichte auf weniger als 2 Kilometern.
Während ich am Abend mit meiner Frau Sarah telefoniere, die gerade die Fotos von meinem Tag bearbeitet, spüre ich, dass Bad Soden mehr ist als die Summe seiner Teile. Es ist wie ein gut komponiertes Musikstück – Mendelssohn wäre begeistert gewesen – in dem historische Tiefe und künstlerische Höhenflüge eine harmonische Melodie bilden. In einer Zeit, in der Authentizität zum kostbaren Gut wird, hält dieser kleine Ort einen Schatz bereit, der darauf wartet, entdeckt zu werden.