Ich stehe auf dem kopfsteingepflasterten Marktplatz von Kulmbach, umgeben von buntem Fachwerk und dem sanften Rauschen eines Renaissance-Brunnens. Über mir thront majestätisch die Plassenburg auf ihrem Hügel – eine Festung, die ein faszinierendes Geheimnis birgt. Diese fränkische Stadt mit gerade einmal 26.625 Einwohnern beherbergt das weltgrößte Zinnfigurenmuseum mit über 300.000 Exponaten. Das bedeutet: Auf jeden Einwohner kommen rechnerisch 11,3 Zinnfiguren – ein Verhältnis, das weltweit einzigartig ist.
300.000+ Zinnfiguren in einer Stadt mit nur 26.625 Einwohnern
Der Aufstieg zur Plassenburg dauert vom Zentrum nur 15 Minuten zu Fuß und wird mit einem atemberaubenden Panoramablick über das herbstliche Maintal belohnt. Die imposante Renaissance-Festung wurde erstmals 1135 urkundlich erwähnt und diente jahrhundertelang als Herrschaftszentrum der Hohenzollern. Während Volkach mit seiner malerischen Mainschleife Naturliebhaber anzieht, lockt Kulmbach Kulturbegeisterte mit seinen außergewöhnlichen Museumsschätzen.
Mein Atem stockt, als ich die ersten Ausstellungsräume des Deutschen Zinnfigurenmuseums betrete. In minutiös gestalteten Dioramen entfaltet sich Geschichte zum Anfassen. Über 300.000 handbemalte Figuren dokumentieren Schlachten, höfisches Leben und Alltagsszenen vergangener Jahrhunderte. Der Museumsdirektor erzählt mir später, dass manche Dioramen jahrelange Arbeit erforderten. „Jede einzelne Figur wird von Hand bemalt“, sagt er mit hörbarem Stolz.
Neben dem Zinnfigurenmuseum beherbergt die Plassenburg drei weitere Museen – das Landschaftsmuseum Obermain, das Armeemuseum Friedrich der Große und das Deutsche Schützenmuseum. Der „Schöne Hof“ mit seinen Renaissance-Arkaden gilt als einer der prachtvollsten seiner Art in ganz Deutschland.
Warum Kulmbach das Anti-Bamberg ist: Kultur ohne Massentourismus
Nur 30 Kilometer vom überlaufenen UNESCO-Weltkulturerbe Bamberg entfernt, bietet Kulmbach eine vergleichbare historische Substanz, jedoch fast vollständig ohne Touristenmassen. Während andere Kulturstädte wie Schwäbisch Hall mit ihren vielen Kulturinstitutionen langsam mehr Besucher anziehen, bleibt Kulmbach ein gut behüteter Geheimtipp.
„In Bamberg stehen wir im Sommer Schlange, um überhaupt in ein Café zu kommen. Hier in Kulmbach kann ich mit meiner Familie die Kultur genießen, ohne von Selfie-Sticks umzingelt zu sein. Die Plassenburg ist mindestens genauso beeindruckend wie viele überlaufene Touristenmagneten.“
Die Stadt vereint 70% denkmalgeschützte Altstadthäuser mit authentischem fränkischem Leben. Während Meißen für sein Porzellan weltbekannt wurde, ist Kulmbachs Zinnfigurensammlung trotz ihres Weltrekordstatus noch ein Insidertipp. Außerhalb der Bierwoche im Juli, wenn 120.000 Besucher die Stadt bevölkern, kann man die kulturellen Highlights praktisch ohne Warteschlangen genießen.
Was Besucher über die Plassenburg und ihre vier Museen wissen sollten
Ähnlich wie Speyer mit seinen Kaisergräbern birgt auch Kulmbachs Plassenburg ein historisches Erbe von nationaler Bedeutung, ohne international die verdiente Aufmerksamkeit zu erhalten. Der Eintritt in alle vier Museen kostet zusammen nur 5 Euro, ein Bruchteil dessen, was man in berühmteren Touristenzielen zahlt.
Im Burgcafé und Restaurant Al Castello lasse ich mich zu einer Pause nieder. Mit Blick über das herbstliche Oberfranken genieße ich ein traditionelles Schäufele (Schweineschulter) und ein frisches Kulmbacher Bier. Die Legende der „Weißen Frau“ – ein Gespenst, das angeblich vor Krisen im Hohenzollern-Geschlecht erscheint – verleiht der Burg eine zusätzliche mystische Dimension.
Herbst 2025: Die perfekte Zeit für Kulmbachs versteckte Schätze
Der Herbst bietet die ideale Gelegenheit, Kulmbach ohne Touristenmassen zu erkunden. Die bunten Laubwälder rund um die Plassenburg schaffen eine malerische Kulisse für Fotos, die meine Frau Sarah begeistern würden. Die kühlen, aber meist angenehmen Temperaturen um 12-15°C begünstigen Spaziergänge durch die historische Altstadt.
Die Kulmbacher Brauerei, eine der ältesten Deutschlands und unter den Top 20 der deutschen Bierproduzenten, bietet Führungen mit Verkostungen für 12 Euro an. Der Rote Turm, Teil der mittelalterlichen Stadtbefestigung, und die gotische St. Petrikirche komplettieren das historische Ensemble dieser unterschätzten Kulturperle.
Als ich am Abend durch die sanft beleuchteten Gassen schlendere, wird mir klar, dass Kulmbach genau die Art von Ort ist, die ich meiner kleinen Emma zeigen möchte. Ein Ort, der beweist, dass wahre kulturelle Schätze oft dort liegen, wo die Massen nicht hinsehen. Wie ein gut gehütetes fränkisches „Hofegeheimnis“ – ein Begriff, den mir ein lokaler Brauer erklärte – wartet Kulmbach darauf, von denjenigen entdeckt zu werden, die mehr suchen als nur die üblichen Postkartenmotive.
