Die schmale Straße führt um eine letzte Kurve, als Traben-Trarbach plötzlich vor mir liegt – ein verträumtes Moselstädtchen mit gerade einmal 5.421 Einwohnern. Nichts deutet auf den ersten Blick darauf hin, dass ich vor dem ehemaligen zweitgrößten Weinhandelsplatz Europas nach Bordeaux stehe. Ich halte am Aussichtspunkt oberhalb der Stadt, während die Morgensonne die Jugendstil-Fassaden zum Leuchten bringt. Die kleine Stadt an der mittleren Mosel, 160 Kilometer westlich von Frankfurt, birgt ein Geheimnis, das kaum jemand kennt: Unter ihren kopfsteingepflasterten Straßen erstreckt sich ein kilometerlanges Labyrinth historischer Weinkeller – steinerne Zeugen einer vergessenen Glanzzeit.
Als ein deutsches Moselstädtchen mit Bordeaux konkurrierte
Um 1900 kontrollierten mehr als 100 Weinhandelsfirmen von hier aus den europäischen Weinmarkt. Während die Mosel ihre berühmten Rieslinge produzierte, machte Traben-Trarbach sie weltberühmt. Britische Aristokraten, russische Zaren und amerikanische Geschäftsleute orderten Wein aus diesem unscheinbaren Ort.
Ich folge Michael, einem ehemaligen Winzer, in die sogenannte Traben-Trarbacher Unterwelt. Wir steigen eine schmale Steintreppe hinab in einen der historischen Weinkeller. Die Luft ist kühl, konstant 10-12 Grad das ganze Jahr über – perfekt für die Lagerung edler Rieslinge.
„Diese Keller erstrecken sich wie ein Spinnennetz unter der ganzen Stadt“, erklärt Michael, während wir durch einen 80 Meter langen gewölbten Gang schreiten. „Zu Spitzenzeiten lagerten hier Millionen Flaschen Wein, bevor sie in alle Welt verschifft wurden. Der Reichtum, den dieser Handel brachte, sehen Sie noch heute an den Jugendstil-Villen oben.“
„Als Kind dachte ich, jede Stadt hätte eine solche Unterwelt. Erst als Erwachsener begriff ich, wie außergewöhnlich das ist – ein unterirdisches Reich, gebaut von Weinhändlern, die mit Bordeaux konkurrierten, in einem Städtchen, das heute kaum jemand kennt.“
Der Reichtum des Weinhandels zog den Berliner Stararchitekten Bruno Möhring an, der hier ein einzigartiges Jugendstil-Ensemble schuf. Das 1899 erbaute Brückentor, das Traben mit Trarbach verbindet, zeugt noch heute von dieser Glanzzeit. Während andere Regionen in Rheinland-Pfalz auf Rotwein setzten, machte Traben-Trarbach den Riesling zum internationalen Exportschlager.
Die verborgene Unterwelt eines vergessenen Imperiums
Die unterirdischen Weinkeller erstrecken sich über mehrere Kilometer und reichen bis zu drei Stockwerke in die Tiefe. Manche Keller sind so groß, dass sie heute als Restaurants, Veranstaltungsräume und sogar als Museum dienen.
Das vielleicht überraschendste Beispiel ist das Buddha-Museum, das in einer ehemaligen Jugendstil-Weinkellerei untergebracht ist. Die Sammlung mit über 2.000 Buddha-Statuen aus verschiedenen Epochen und Kulturen schafft einen faszinierenden Kontrast zur weinseligen Vergangenheit des Ortes. Während Bad Wildbad in Baden-Württemberg verborgene Mosaikschätze hütet, verbindet Traben-Trarbach fernöstliche Spiritualität mit Mosel-Weinkultur.
Ich steige hinauf zur Ruine Grevenburg, die 180 Meter über der Stadt thront. Von hier oben wird die bescheidene Größe des heutigen Traben-Trarbach erst richtig deutlich. Die herbstliche Moselschleife leuchtet in goldenen Farben, während die Weinberge sich wie ein Amphitheater um die Stadt schmiegen.
Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen
Der beste Zugang zu den unterirdischen Weinkellern ist über geführte Touren, die täglich um 11:00 und 14:00 Uhr starten und 8 Euro pro Person kosten. Parken Sie am besten am Moselufer-Parkplatz, der im Herbst 2025 noch kostenlos ist, oder nutzen Sie den öffentlichen Parkplatz an der Bahnhofstraße (1,50 Euro/Stunde).
Besuchen Sie Traben-Trarbach am frühen Morgen oder späten Nachmittag, wenn das Licht die Jugendstil-Fassaden am schönsten in Szene setzt. Im Gegensatz zu den überlaufenen Moselorten wie Cochem oder Brandenburg an der Havel herrscht hier eine entspannte Atmosphäre – selbst während der Weinlese im September und Oktober.
Die meisten Besucher verpassen die Himmelspforte, einen modernen Aussichtspunkt oberhalb der Stadt. Erreichen Sie ihn über den Franzosensteig, einen historischen Pfad, der an der Schottstraße beginnt. Der 25-minütige Aufstieg wird mit einem spektakulären Panoramablick über Moseltal und Stadt belohnt.
Als ich am Abend mit einem Glas lokalen Riesling am Moselufer sitze, denke ich an die Verwandlung dieser Stadt – vom europäischen Wirtschaftszentrum zum verborgenen Juwel. Meine Frau Sarah würde die Jugendstil-Details lieben, und Emma wäre begeistert von den geheimnisvollen Kellergewölben. Traben-Trarbach ist wie ein gut gehütetes Familienalbum – unscheinbar von außen, aber voller faszinierender Geschichten, wenn man es nur zu öffnen weiß.