Ich stand vor dem Zeiss-Planetarium und blickte zur weißen Kuppel empor, während die Abendsonne Jenas historische Fassaden vergoldete. Vor mir ragte der Beweis eines kaum bekannten Weltrekords auf – das dienstälteste Projektionsplanetarium der Welt, seit 1926 ununterbrochen in Betrieb. Diese thüringische Universitätsstadt mit ihren 109.725 Einwohnern birgt ein wissenschaftliches Erbe, das selbst Cambridge in den Schatten stellt, doch bleibt sie erstaunlich unentdeckt auf der touristischen Landkarte.
Während ich durch die leeren Straßen schlenderte, wurde mir klar: Die Stadt, die 60% der deutschen Präzisionsoptik produziert, verbirgt ihre Schätze vor den Massen. „Jena“, flüsterte ein Einheimischer später, „ist unser kleines Geheimnis.“
Das älteste Planetarium der Welt: Jenas leuchtender Himmel seit 1926
Das Zeiss-Planetarium thront in der Stadtmitte wie ein Monument zur deutschen Ingenieurskunst. Im Inneren erwartete mich die beeindruckende 360°-Kuppelprojektion mit 64-Kanal-Surround-Sound, die täglich bis zu sieben verschiedene Shows bietet. „Das Wunder von Jena“ nannten es die Menschen, als es vor fast 100 Jahren eröffnete.
Von der Aussichtsplattform des 144,5 Meter hohen JenTowers blickte ich über eine Stadt, deren wissenschaftliche Revolution in den bescheidenen Werkstätten des Carl Zeiss begann. Heute produzieren die Einwohner optische Technologie für Weltraummissionen, während in Apolda, bekannt für seine Glockenproduktion mit höchster Präzision, traditionelles Handwerk bewahrt wird.
Während Cambridge jährlich 8 Millionen Touristen empfängt, bleiben Jenas Straßen angenehm leer – obwohl hier die wissenschaftliche Zukunft gestaltet wird. Die Imaginata mit ihren 100 Experimentierstationen lässt Besucher physikalische Phänomene hautnah erleben, während das Deutsche Optische Museum aktuell renoviert wird, um 2026 als interaktive Erlebniswelt wiederzueröffnen.
Zwischen Goethe und Zeiss: Wie 109.725 Einwohner Wissenschaftsgeschichte schreiben
Was Jena besonders macht: Die Stadt vereint Naturwissenschaft mit Kultur. Der Botanische Garten, 1586 gegründet und damit der zweitälteste in Deutschland, beherbergt auf nur 4,5 Hektar unglaubliche 10.000 Pflanzenarten. Hier steht auch der über 200 Jahre alte Ginkgo-Baum, unter dem Goethe seine Farbenlehre entwickelte.
Während Weimar mit seiner europaweit höchsten Kulturdichte überlaufen ist, wirkt Jena wie ein entspanntes Laboratorium des Wissens. Die 17.000 Studenten (15,5% der Bevölkerung) bilden die höchste Studentendichte Ostdeutschlands und verleihen der Stadt ein jugendliches Flair.
„In Cambridge zahlt man Eintritt, um Wissenschaftsgeschichte zu sehen. In Jena erlebt man, wie sie noch heute gemacht wird – und niemand steht dir dabei im Weg.“
Die Friedrich-Schiller-Universität, im Herzen der Stadt gelegen, war Wirkungsstätte vieler berühmter Wissenschaftler und Philosophen. Goethe war nicht nur in Jena aktiv – auch das nahegelegene Ilmenau besuchte er heimlich 28 Mal, wie mein Stadtführer mit einem Augenzwinkern erzählte.
Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen
Der beste Zeitpunkt für einen Besuch ist der Herbst 2025, bevor das Planetarium für die Jubiläumsrenovierung schließt. Parkplätze finden Sie am Engelplatz für 2€ pro Stunde, nur 5 Gehminuten vom Stadtzentrum entfernt. Die Stadt ist kompakt – ich erkundete alle Highlights zu Fuß.
Besuchen Sie das Planetarium am späten Nachmittag, wenn die 18-Uhr-Show dank der frühen Herbstdämmerung besonders beeindruckend wirkt. Danach empfehle ich den Botanischen Garten, dessen Ginkgo-Baum im Herbst in magischem Gold erstrahlt.
Ein verstecktes Juwel ist die Stadtkirche St. Michael – erklimmen Sie die 250 Stufen für einen kostenlosen Panoramablick über Jena und die Muschelkalkfelsen der Umgebung. Die Region um Jena ist reich an Handwerkstraditionen – so findet sich im nahegelegenen Bürgel Deutschlands höchste Töpferdichte.
Für das authentischste Erlebnis empfehle ich einen Besuch der SaaleHorizontale – dieser 100 km lange Höhenwanderweg bietet atemberaubende Ausblicke auf die Stadt und das Saaletal, besonders spektakulär im herbstlichen Licht.
Als ich Jena verließ, nahm ich mehr mit als nur Erinnerungen an optische Wunder und wissenschaftliche Errungenschaften. Meine Frau Sarah würde die Ginkgo-Blätter lieben, die ich als Lesezeichen mitnahm – goldene Zeugen einer Stadt, die Wissenschaft und Poesie vereint wie keine andere. In einer Welt voller überlaufener Touristenmagnete bleibt Jena ein Ort, an dem man noch echte Entdeckungen machen kann – ein deutsches Cambridge ohne die Menschenmassen, aber mit der gleichen intellektuellen Brillanz.