Dieses Rheinland-Pfalz Dorf von 6.000 Einwohnern hütete jahrzehntelang 15 Milliarden D-Mark Notgeld geheim

Die Morgensonne bricht gerade über den Moselhängen hervor, als ich in Cochem eintreffe. Mit nur 6.000 Einwohnern wirkt die Stadt zunächst unscheinbar. Doch als ich um die Flussbiegung komme, bleibt mir der Atem stehen. 154 Meter über der kleinen Stadt thront majestätisch die Reichsburg Cochem – wie ein Wächter über ein gut gehütetes Geheimnis. Was ich noch nicht ahne: Unter meinen Füßen liegt ein zweites, noch größeres Mysterium verborgen, das jahrzehntelang streng geheim gehalten wurde.

Die 154-Meter hohe Märchenburg über einer 6.000-Seelen-Stadt

Die Reichsburg dominiert nicht nur das Stadtbild, sondern steht in faszinierendem Kontrast zur Einwohnerzahl. Mit ihren imposanten Türmen und dem neugotischen Baustil wirkt sie wie aus einem Märchenbuch entsprungen. Viele nennen sie das „Neuschwanstein der Mosel“ – doch im Gegensatz zum bayerischen Pendant empfängt Cochem vergleichsweise wenige Touristen.

Was die wenigsten wissen: Die Burg, die so mittelalterlich wirkt, wurde nach ihrer kompletten Zerstörung 1689 erst 179 Jahre später wiederaufgebaut. Der Berliner Kaufmann Louis Ravené ließ sie von 1868 bis 1877 im neugotischen Stil als privates Sommerschloss errichten – ein faszinierendes Beispiel deutscher Burgenromantik des 19. Jahrhunderts.

Vom Burghof aus schweift mein Blick über die steilen Weinberge mit ihren 60-Grad-Hängen, wo Winzer seit Generationen einen der besten Rieslinge Deutschlands kultivieren. Die schroffen Schieferhänge speichern tagsüber Wärme und geben sie nachts ab – eine natürliche Heizung für die Reben.

Das unterirdische Milliardengeheimnis der Bundesrepublik

Doch das eigentliche Geheimnis von Cochem liegt nicht auf dem Berg, sondern tief darunter verborgen. In einem unscheinbaren Wohngebiet stoße ich auf ein Gebäude, das aussieht wie ein gewöhnliches Wohnhaus. Es ist der Eingang zum ehemaligen Bundesbank-Bunker, einem der bestgehüteten Geheimnisse der alten Bundesrepublik.

Während des Kalten Krieges lagerten hier, tief unter den Füßen ahnungsloser Einwohner, sage und schreibe 15 Milliarden Deutsche Mark an Notgeld. Im Falle einer Währungskrise hätte die gesamte D-Mark ausgetauscht werden können. Erst 1988, kurz vor dem Mauerfall, wurde die streng geheime Operation „Goldfisch“ eingestellt.

„Die meisten von uns hatten keine Ahnung, was unter unseren Füßen verborgen war. Stellen Sie sich vor – wir gingen täglich über Milliarden hinweg zur Arbeit, während wir uns Gedanken über unsere Haushaltskasse machten.“

Heute ist der 8.700 Quadratmeter große Bunkerkomplex ein faszinierendes Museum, das die Paranoia des Kalten Krieges dokumentiert. Die massive Stahltür wiegt allein 8 Tonnen und ist konstruiert, um einem Atomangriff standzuhalten.

Während andere Orte an der Mosel mit ihren Doppelburgen beeindrucken, bietet Cochem diese einzigartige Kombination aus oberirdischer Pracht und unterirdischem Geheimnis – ein Kontrast, der die kleine Stadt zu etwas Besonderem macht.

Zwischen Burg und Bunker: Der perfekte 48-Stunden Besuch

Der ideale Zeitpunkt für einen Besuch ist der frühe Morgen, wenn die Reichsburg im ersten Sonnenlicht erstrahlt und die Touristengruppen noch nicht eingetroffen sind. Parken Sie am besten an der Endertstraße, von wo aus Sie sowohl die Altstadt als auch die Sesselbahn zum Pinnerkreuz bequem erreichen.

Nach der Burg empfehle ich einen Besuch in der Historischen Senfmühle von 1810, wo Sie alle Senfsorten kostenlos probieren können. Die Weinliebhaber sollten unbedingt den lokalen Riesling verkosten, dessen Charakter durch die mineralischen Schieferböden geprägt wird.

Wer die Region weiter erkunden möchte: In der Nähe liegt Mülheim an der Mosel, dessen Weine einst auf Zeppelin-Transatlantikflügen serviert wurden. Geschichtsliebhaber können ihre Reise zum Dorf Mayschoß fortsetzen, wo 1868 – im selben Jahr, als der Wiederaufbau der Reichsburg begann – die erste Winzergenossenschaft der Welt gegründet wurde.

Als ich am Abend mit der Fähre zurück über die Mosel gleite, reflektiert das Wasser die beleuchtete Burg. Meine Frau Sarah würde dieses Licht lieben, denke ich – ein perfektes Motiv für ihre Kamera. In Cochem verschmelzen Vergangenheit und Gegenwart wie die Abendsonne im Fluss: Von außen sichtbar und doch voller verborgener Tiefen. Wie ein guter Moselwein bewahrt diese kleine Stadt ihre Geheimnisse gerade lange genug, um den aufmerksamen Reisenden zu belohnen, der bereit ist, unter die Oberfläche zu schauen.