Weniger touristisch als Rothenburg besitzt diese Brandenburg-Stadt von 15.590 Einwohnern 1.735 Meter vollständige mittelalterliche Stadtmauer

Ich stehe auf der mittelalterlichen Stadtmauer von Templin, die sich wie ein steinerner Gürtel um die Altstadt legt. Mit 1.735 Metern Länge und 6-7 Metern Höhe umschließt dieses Feldstein-Meisterwerk den historischen Kern vollständig. Das Erstaunliche: Diese kleine brandenburgische Stadt mit nur 15.590 Einwohnern besitzt rechnerisch 0,11 Meter historische Stadtmauer pro Person – ein außergewöhnliches Verhältnis, das selbst berühmte mittelalterliche Städte in den Schatten stellt.

Die morgendliche Sonne wirft lange Schatten auf das Kopfsteinpflaster, während ich zwischen den 47 Wiekhäusern entlangwandere, die wie Wächter aus einer anderen Zeit die Mauer säumen. Im Vergleich: Das weltberühmte Rothenburg ob der Tauber bringt es auf gerade einmal 0,04 Meter Stadtmauer pro Einwohner – und ist dennoch von Touristen überlaufen.

Templins Stadtmauer: 1.735 Meter mittelalterliches Erbe für nur 15.590 Einwohner

Die Feldsteinmauer, erbaut im 13. und 14. Jahrhundert, zählt zu den am besten erhaltenen mittelalterlichen Befestigungsanlagen Norddeutschlands. Meine Frau Sarah dokumentiert mit ihrer Kamera die drei imposanten Stadttore: das Berliner Tor, das Prenzlauer Tor und das Mühlentor – jedes ein architektonisches Juwel für sich.

Während ich durch das Prenzlauer Tor schlendere, wird mir klar, was Templin so besonders macht: Der komplette historische Stadtkern ist von dieser massiven Befestigung umgeben, ohne dass moderne Bauwerke die mittelalterliche Atmosphäre stören. Das renommierte Dehio-Handbuch beschreibt die Templiner Tortürme als „früheste greifbare Beispiele des im späteren 14. und 15. Jahrhundert in Norddeutschland so verbreiteten Torturmes“.

Beim Eulenturm entdecke ich eine merkwürdige Tür in sechs Metern Höhe – sie diente einst zur Abseilung von Gefangenen, ein in Deutschland einzigartiges mittelalterliches Gefängnissystem. Nur 60 Kilometer entfernt liegt Neuruppin mit seinem berühmten Apollotempel, doch die mittelalterliche Authentizität Templins ist von einer anderen Qualität.

Warum Rothenburg ob der Tauber im Vergleich zu Templin überlaufen ist

Während Rothenburg jährlich über 2,5 Millionen Touristen bewältigen muss, bleibt Templin ein Geheimtipp für Kenner. Die historischen Schätze Brandenburgs reichen von Templins mittelalterlicher Stadtmauer bis zum berühmten Goldschatz in Eberswalde, doch keine Stadt vereint historische Substanz und touristische Ruhe so perfekt wie Templin.

„Ich komme seit 30 Jahren nach Templin und kann immer noch allein auf der Stadtmauer spazieren gehen. In Rothenburg wäre das undenkbar – dort kämpft man sich durch Touristenmassen, hier erlebt man Geschichte in Ruhe.“

Während Templin durch seine quadratische Anordnung besticht, überrascht Jüterbog mit seinem einzigartigen elliptischen Stadtkern. Doch Templin bietet etwas Besonderes: Die Kombination aus mittelalterlicher Stadtmauer und der umgebenden Uckermärkischen Seenlandschaft schafft einen Kontrast, den man woanders vergeblich sucht.

Die Maria-Magdalenen-Kirche mit ihrem 70 Meter hohen Turm dominiert das Stadtbild. Nach dem verheerenden Stadtbrand von 1735 im barocken Stil wiederaufgebaut, bietet sie ein faszinierendes Gegenstück zur mittelalterlichen Stadtmauer.

Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen

Der ideale Besuch beginnt am frühen Morgen um 8 Uhr, wenn das Licht perfekt für Fotografien ist und die Stadtmauer noch nahezu menschenleer. Parken Sie kostenlos am Parkplatz Prenzlauer Tor und beginnen Sie Ihren Rundgang im Uhrzeigersinn.

Die Kurkarte (erhältlich ab 2,50 € in der Touristeninformation) berechtigt zur freien Nutzung der Stadtbuslinie, die das Zentrum mit Sehenswürdigkeiten verbindet. Im August 2025 können Sie zusätzlich die saisonalen Naturfestivals erleben und Kanufahrten durch die Seenlandschaft unternehmen.

Nach dem Mauerrundgang empfehle ich einen Besuch der NaturThermeTemplin – einer der acht staatlich anerkannten Kurorte Brandenburgs – oder einen Ausflug zur Westernstadt El Dorado, ein unerwartetes Erlebnis inmitten der Uckermärkischen Natur.

Für Familien mit Kindern wie unsere Emma ist der Stadtsee ideal für Tretbootfahrten, während Naturliebhaber im umliegenden Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin aktive Biberkolonien beobachten können – ein Naturerlebnis, das meine Tochter nicht vergessen wird.

Als ich Templin verlasse, nehme ich das Gefühl mit, eines der bestbewahrten Geheimnisse Deutschlands entdeckt zu haben. Wie ein mittelalterlicher Schatz liegt diese Stadt mit ihrer imposanten Stadtmauer versteckt in der brandenburgischen Landschaft – authentisch, unverfälscht und bereit, entdeckt zu werden. Nicht jedes mittelalterliche Juwel muss von Touristenmassen umlagert sein, um seinen Wert zu beweisen.