Die Morgensonne spiegelt sich im alten Bergarbeiterhaus gegenüber, während ich durch die kopfsteingepflasterten Gassen von Sondershausen schlendere. Mit nur 20.910 Einwohnern scheint diese thüringische Kleinstadt zunächst unscheinbar. Doch was folgt, ist eine der erstaunlichsten vertikalen Reiseerfahrungen Deutschlands – vom höchsten Fachwerkturm Europas bis zum tiefsten Konzertsaal der Welt in 700 Meter Tiefe. Eine Stadt der Extreme, versteckt im Herzen Thüringens, nur 60 Kilometer nordwestlich von Erfurt.
Europas höchster Fachwerkturm thront über einer 20.910-Einwohner-Stadt
Mein erster Stopp führt mich zum Possenturm, der mit seinen 45 Metern Höhe als größter Fachwerkturm Europas gilt. Das imposante Bauwerk thront auf dem bewaldeten Hügel „Zum Possen“ und überblickt majestätisch die gesamte Region.
„Der Turm wurde 1781 erbaut und hat sogar den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden“, erklärt mir der Förster, während wir die 198 Holzstufen erklimmen. Oben angekommen belohnt mich ein atemberaubender 360-Grad-Panoramablick über die sanften Hügel des Kyffhäuserkreises.
Was die Schönheit dieses Ortes ausmacht, ist seine Unberührtheit. Während Annaberg-Buchholz mit seiner lebendigen Bergbautradition jährlich tausende Besucher anzieht, empfängt Sondershausen nur einen Bruchteil – was dem authentischen Erlebnis zugute kommt.
700 Meter unter der Erde: Der tiefste Konzertsaal der Welt
Nach der Höhe geht es in die Tiefe. Das Erlebnisbergwerk Sondershausen beherbergt in 700 Metern Tiefe einen außergewöhnlichen Konzertsaal. Mit dem Förderkorb rauschen wir in wenigen Minuten durch Gesteinsschichten, die 250 Millionen Jahre alt sind.
Der unterirdische Konzertsaal mit seiner einzigartigen Akustik fasst bis zu 400 Besucher. Die salzhaltige Luft hat eine konstante Temperatur von 21 Grad Celsius – egal ob Winter oder Sommer an der Oberfläche.
„Hier unten zu musizieren ist eine Erfahrung wie nirgendwo sonst auf der Welt. Die Akustik ist perfekt, und die Energie des Ortes unbeschreiblich – es fühlt sich an, als würde die Erde selbst mitsingen.“
Tatsächlich finden hier regelmäßig Konzerte statt, von klassischer Musik bis zu modernen Performances. Die natürliche Salzakustik verleiht jedem Ton eine kristallklare Resonanz, die Musiker aus ganz Europa anzieht.
Wer nach dem Konzerterlebnis noch tiefer in die Bergbautradition eintauchen möchte, kann auch Heilbad Heiligenstadt mit Deutschlands ältester Solequelle besuchen – ein perfekter Ort zur Entspannung nach dem unterirdischen Abenteuer.
Goldene Kutsche und fürstliche Schätze im 800 Jahre alten Schloss
Nach dem Aufstieg aus den Tiefen des Bergwerks erwartet mich das Schloss Sondershausen, eine ehemalige Fürstenresidenz mit über 800 Jahren Geschichte. Das Schloss beherbergt einen Schatz, der selbst viele Deutsche nicht kennen: die Goldene Kutsche – die älteste ihrer Art in ganz Deutschland.
Diese prachtvolle Staatskarosse der Fürsten von Schwarzburg-Sondershausen, vollständig mit echtem Blattgold überzogen, ist ein funkelndes Zeugnis vergangener Pracht. Nicht weniger beeindruckend ist die Sammlung von 1.600 historischen Musikinstrumenten, darunter einzigartige Stücke aus dem 16. Jahrhundert.
Liebhaber außergewöhnlicher Museumsschätze sollten auch das weltweit einzige Federzimmer im sächsischen Moritzburg auf ihre Liste setzen, um die Reise durch Mitteldeutschlands verborgene Schätze zu vervollständigen.
Praktische Reiseinformationen: Spätsommer 2025 ideal für Besuch
Der Spätsommer und frühe Herbst bieten die perfekte Zeit für einen Besuch in Sondershausen. Die Temperaturen sind angenehm mild, ideal für Erkundungen in der Altstadt, während das Bergwerk ganzjährig eine konstante Temperatur bietet.
Parken Sie am besten am kostenlosen Parkplatz Schlosshof, von wo aus Sie sowohl die Altstadt als auch das Schloss bequem zu Fuß erreichen. Das Erlebnisbergwerk liegt etwa 10 Minuten mit dem Auto entfernt im Ortsteil Großfurra.
Planen Sie für das vollständige Erlebnis mindestens zwei volle Tage ein – einen für die oberirdischen Attraktionen und einen für das Bergwerk, wo Führungen täglich um 10:00, 12:00 und 14:00 Uhr stattfinden. Eine Reservierung für Bergwerksbesuche ist dringend empfohlen.
Als ich am Abend mit meiner Frau Sarah in der Altstadt zu Abend esse, denke ich über die Gegensätze nach, die diese Stadt ausmachen. Oben das helle Fachwerk und der weite Himmel, unten die geheimnisvolle Unterwelt aus Salz und Klang. Wie ein thüringisches Yin und Yang vereint Sondershausen diese Welten zu einer Harmonie, die man erlebt haben muss, bevor der unvermeidliche Touristenansturm einsetzt. In der lokalen Redewendung: „Wer nicht in die Tiefe geht, kennt die Höhe nicht“ – eine Weisheit, die für Sondershausen wie geschaffen scheint.