Ich kann den Stadtlärm noch hören, als wir mit dem Auto von der Hauptstraße abbiegen. Plötzlich taucht sie vor uns auf – eine mittelalterliche Silhouette, die sich gegen den Himmel abhebt. Oberwesel, eine Kleinstadt mit gerade einmal 2.839 Einwohnern, bewacht seit über 1.000 Jahren eine der malerischsten Rheinschleifen. Während andere Rheinstädte von Touristenmassen überrannt werden, bereitet sich dieses versteckte Juwel auf ein seltenes Ereignis vor: Ab September 2025 öffnet Oberwesel sein mittelalterliches Herz für eine der authentischsten Weintraditionen Deutschlands – direkt zwischen 16 erhaltenen Wehrtürmen.
16 mittelalterliche Türme und 1000 Jahre Geschichte: Oberwesels vergessene Zeitreise
Die Stadtmauer erstreckt sich über beeindruckende 2,6 Kilometer und umschließt eine Altstadt, in der 90% der Gebäude unter Denkmalschutz stehen. Bei meinem Rundgang zähle ich tatsächlich 16 Wehrtürme – eine architektonische Dichte, die selbst andere historische Weinorte in Rheinland-Pfalz nicht erreichen.
Während ich auf der teilweise begehbaren Stadtmauer wandere, erzählt mir ein lokaler Weinbauer die Sage der „Sieben Jungfrauen“ – sieben Felsen im Rhein, die der Legende nach verzauberte junge Frauen sein sollen. Die Geschichte ist typisch für die Region, wo Oberwesel selbst oft im Schatten des bekannteren Bacharach steht, obwohl es die besser erhaltene Stadtmauer besitzt.
Von einem der Türme aus blicke ich auf die rote Liebfrauenkirche und die gotische Martinskirche – architektonische Schätze, die im goldenen Septemberlicht besonders eindrucksvoll wirken werden, wenn die Weinlese beginnt.
Die Loire-Alternative: Warum Kenner Oberwesel dem französischen Weintourismus vorziehen
Anders als die überlaufenen Weindörfer an der Loire bietet Oberwesel eine Kombination, die selbst verwöhnte Reisende überrascht: mittelalterliche Authentizität gepaart mit direktem Rheinblick und hervorragendem Wein – und das zu einem Bruchteil der Kosten französischer Weinregionen.
„Wir kommen jedes Jahr wieder, weil hier noch echtes Winzerleben zu spüren ist. Kein Massentourismus, keine überteuerten Restaurants – nur ehrlicher Wein und Menschen, die ihre Tradition leben.“
Die lokalen Weingüter wie Lanius-Knab öffnen während des Weinmarkts im September ihre historischen Keller. Eine Gelegenheit, die man in touristischeren Orten kaum noch findet. Besonders bemerkenswert: Während des vierwöchigen Weinmarkt-Zeitraums ab September 2025 werden über 150 verschiedene Weine aus dem Mittelrheingebiet präsentiert.
Wer die Region erkunden möchte, findet in Rheinhessen unweit von hier weitere hervorragende Weinorte, die zusammen eine Alternative zu den überlaufenen europäischen Weinstraßen bilden.
September 2025: Das 4-Wochen-Fenster für authentische Weinerlebnisse
Der September 2025 markiert ein besonderes Zeitfenster für Oberwesel. Ab dem 10. September beginnt offiziell der Weinmarkt, doch bereits in den Tagen zuvor kann man die Vorbereitungen und ersten Weinleseaktivitäten beobachten. Die Kombination aus beginnender Weinlese und mittelalterlichem Ambiente schafft eine Atmosphäre, die nur für etwa vier Wochen erlebbar ist.
In dieser Zeit bieten mehrere Winzer Mitmach-Aktionen an – vom Traubenlesen bis zur traditionellen Kelterung. Die Straßen der Altstadt verwandeln sich abends in eine lebendige Weinpromenade mit lokaler Musik und Kulinarik.
Der Höhepunkt ist das Weinfest am 20. September, bei dem in den engen Gassen zwischen den historischen Fachwerkhäusern ausgeschenkt wird – ein Erlebnis, das selbst in anderen Weinorten am Rhein selten so authentisch stattfindet.
Praktischer Guide: So erleben Sie das mittelalterliche Weinleben in Oberwesel
Am besten erreichen Sie Oberwesel mit dem Auto über die B9, die direkt am Rhein entlangführt. Kostenlose Parkplätze finden Sie am Rheinufer oder beim Bahnhof. Mit der Bahn ist Oberwesel von Koblenz in 45 Minuten oder von Mainz in 1 Stunde 15 Minuten erreichbar.
Übernachten Sie idealerweise im historischen Stadtkern, wo kleine Pensionen ab 75€ pro Nacht angeboten werden. Wer es luxuriöser mag, kann in der Burg Schönburg nächtigen, die heute ein Hotel beherbergt.
Die besten Fotospots für die mittelalterliche Stadtsilhouette finden Sie bei einer Rheinfahrt oder auf der gegenüberliegenden Rheinseite – ähnlich wie bei anderen sehenswerten Orten in der Region.
Während ich zum Auto zurückkehre, nickt mir ein älterer Winzer zu, die Hände noch schmutzig von der Arbeit an den Reben. Es ist dieser Moment der Authentizität, der Oberwesel von Touristenfallen unterscheidet. „Prost“, ruft er mir zu – ein einfacher Gruß, der die Essenz dieses Ortes perfekt einfängt. Weinkultur und Geschichte, die nicht für Besucher inszeniert werden, sondern echt sind – zumindest noch für dieses besondere Zeitfenster im September 2025.