Der Morgennebel hängt noch über dem Main, als ich durch das imposante Brückentor nach Ochsenfurt spaziere. Sofort werde ich von einer Stadt begrüßt, die wie ein lebendiges Geschichtsbuch vor mir liegt – mit 80% erhaltener mittelalterlicher Stadtbefestigung aus dem 14. Jahrhundert. Während die meisten Besucher nach Rothenburg ob der Tauber strömen, habe ich hier in dieser 12.308-Einwohner zählenden Stadt etwas Außergewöhnliches entdeckt: ein mittelalterliches Juwel, das seine Authentizität bewahrt hat.
Ein fränkisches Stadtbild mit 3 original erhaltenen Toren und mittelalterlichem Flair
Ochsenfurt liegt nur 22 Kilometer südlich von Würzburg im Maindreieck und beeindruckt durch seine nahezu vollständig erhaltene Altstadt. Die komplette Ringmauer mit Zwinger, zahlreichen Wehrtürmen und drei intakten Stadttoren ist eine Seltenheit in Deutschland. Während ich entlang der Stadtmauer schlendere, fällt mir auf, wie wenige internationale Touristen hier unterwegs sind.
Der Taubenturm, Teil der mittelalterlichen Befestigung, beherbergt ein ehemaliges Lochgefängnis, über das sich eine faszinierende Legende rankt. Der Name soll von einem tauben Wächter stammen, der die Schreie der Gefangenen nicht hören konnte – oder wollte. Ähnlich wie Esslingen am Neckar hat Ochsenfurt seinen mittelalterlichen Charakter perfekt bewahrt.
Im Zentrum der Altstadt steht das Neue Rathaus mit einer besonderen Monduhr, die nicht nur die Zeit, sondern auch die Mondphasen anzeigt. Nur wenige Meter entfernt befindet sich die Stadtpfarrkirche St. Andreas mit einer Skulptur des berühmten Bildhauers Tilman Riemenschneider. Die fränkische Weinkultur, die auch im nahegelegenen Thüngersheim gepflegt wird, ist in Ochsenfurt allgegenwärtig.
Authentischer als Rothenburg: Was Ochsenfurt so besonders macht
Anders als im überlaufenen Rothenburg ob der Tauber, wo Touristen oft Schulter an Schulter stehen, kann man in Ochsenfurt noch echtes mittelalterliches Flair ohne Massentourismus erleben. Die Stadt erinnert mich an eine kleinere Version von Évora in Portugal – historisch bedeutsam, aber noch nicht von internationalen Besuchermassen entdeckt.
„Hier kann man noch durch die Gassen schlendern und das Gefühl haben, in einer anderen Zeit zu leben. Die Stille am frühen Morgen, wenn das Licht auf die alten Mauern fällt – das ist das wahre Ochsenfurt, das man erleben sollte.“
Besonders beeindruckend ist das Denkmal der tapferen Frauen von Ochsenfurt am Unteren Tor, das an mutige Bürgerinnen erinnert, die die Stadt 1945 vor Zerstörung bewahrten. Die Handwerkstradition, die auch in Alt-Kaster gepflegt wird, lebt in Ochsenfurts Sanierungsworkshops weiter, wo Besucher traditionelle Restaurierungstechniken kennenlernen können.
Das Stadtbild wird geprägt von einer blumengeschmückten Fachwerkzeile in der Hauptstraße, die mit ihren bunten Fassaden einem Bilderbuch entsprungen scheint. 50-70% der Altstadtgebäude stehen unter Denkmalschutz und vermitteln ein authentisches Bild fränkischer Architektur des 14. bis 18. Jahrhunderts.
Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen
Ochsenfurt lässt sich am besten zu Fuß erkunden – die gesamte Altstadt ist in weniger als einer Stunde zu durchwandern. Parken Sie am besten am Mainparkplatz, von wo aus Sie in 2 Minuten die Altstadt erreichen. Die Stadt ist auch mit dem Fahrrad über den Main-Radweg hervorragend angebunden.
Besuchen Sie die Stadt am frühen Morgen oder späten Nachmittag, wenn das Licht besonders schön auf die historischen Gebäude fällt. Ein Geheimtipp: Die Nachtwächterführungen, die von der Tourist-Info organisiert werden, bieten einen stimmungsvollen Einblick in die Geschichte der Stadt. Wer authentische deutsche Kleinstädte liebt, sollte neben Ochsenfurt auch das malerische Saarburg in Betracht ziehen.
Als ich Ochsenfurt verlasse, nehme ich das Gefühl mit, einen Ort entdeckt zu haben, der noch nicht in jedem Reiseführer steht. Während Sarah, meine Frau, Fotos von den mittelalterlichen Mauern im Abendlicht macht, erklärt mir Emma, dass die Stadt wie eine „echte Burg ohne Disneyland-Gefühl“ sei. Treffender könnte man es nicht ausdrücken. Ochsenfurt ist wie ein gut gehütetes Geheimnis unter den fränkischen Weinstädten – authentisch, lebendig und bereit, von aufmerksamen Reisenden entdeckt zu werden.