Ich schlängele mich durch die schmalen Gassen von Mülheim an der Mosel, als mir eine ältere Dame mit wettergegerbtem Gesicht entgegenkommt. In der Hand hält sie eine Flasche mit eleganter Etikettierung, die irgendwie nicht zu diesem 934-Einwohner-Dorf passt. „Sonnenlay“ flüstert sie stolz, als sie meinen Blick bemerkt. Noch ahne ich nicht, dass ich gerade dem berühmtesten Geheimnis dieses winzigen Moseldorfs begegnet bin – einem Wein, der einst höher flog als jeder andere in der Geschichte Deutschlands.
Hier, nur 12 Kilometer flussabwärts von der bekannteren Touristenhochburg Bernkastel-Kues, breitet sich Mülheim auf gerade einmal 4,92 Quadratkilometern aus. Doch in seinen steilen Schieferhängen verbirgt sich ein globales Geheimnis, das selbst die meisten Weinkenner nicht kennen.
Der Zeppelin-Wein aus dem 934-Einwohner-Dorf
Im Weingut Max Ferd. Richter greife ich vorsichtig nach einem historischen Etikett, das unter Glas präsentiert wird. Der „Sonnenlay“ Riesling aus Mülheim war in den 1930er Jahren der offizielle Wein aller Zeppelin-Transatlantikflüge. Die Bauhaus-Etiketten, entworfen vom Künstler Hans Schlösser, repräsentieren einen der ersten globalen Luxusgüter der Luftfahrtgeschichte.
„Die Weinlage Sonnenlay wurde exklusiv für den Service an Bord der LZ 127 Graf Zeppelin und LZ 129 Hindenburg ausgewählt“, erklärt mir der Winzer. Diese Flaschen reisten damals weiter als die meisten Menschen je kommen würden – von Frankfurt nach Tokio, Rio de Janeiro und New York.
Was den Wein so besonders machte? Seine einzigartige Fähigkeit, auch in 3.000 Metern Höhe perfekt zu schmecken, wo Luftdruck und Trockenheit den Geschmackssinn beeinflussen. Ein Pioner-Sommelier vor seiner Zeit hatte den Mülheimer Wein als perfekte Flughöhen-Cuvée identifiziert.
Ich wandere durch die Sonnenlay-Steillage, deren schroffe Schieferhänge mit bis zu 30% Neigung nur durch Handarbeit bewirtschaftet werden können. Der mineralische Boden und die perfekte Südausrichtung schaffen jene besondere Charakteristik, die einst wohlhabende Passagiere bei Transatlantikflügen für 1.000 Reichsmark pro Ticket genossen haben.
Mülheims Verbindung zwischen Himmel und Erde
Anders als im belebten Saarburg mit seinem spektakulären Wasserfall herrscht in Mülheim beschauliche Ruhe. Der Marktplatz mit seinen Fachwerkhäusern wirkt wie eine Filmkulisse ohne Statisten – perfekt für Fotografen und Ruhesuchende.
„Wir bewahren hier noch die Seele der Mosel. Wenn Besucher nach einem Tag in den überlaufenen Tourismuszentren zu uns kommen, atmen sie hörbar auf. Hier findet man noch das ursprüngliche Moselleben.“
Während andere Weindörfer entlang der Mosel mit mittelalterlichen Burgen oder römischen Ruinen werben, hat Mülheim seinen Luftfahrt-Adelstitel nie richtig vermarktet. Dadurch blieb es ein Geheimtipp für Weinenthusiasten, die Authentizität suchen, ähnlich wie Lieser mit seinen 2000-jährigen Weinbergen.
Der 10 Kilometer lange Panoramaweg führt mich zu einem weiteren verborgenen Schatz: dem Elisenhäuschen, wo sich eine lokale Legende um Napoleon rankt. Hier soll der Kaiser 1813 auf seinem Rückzug Zuflucht gefunden haben – eine weitere historische Verbindung dieses unscheinbaren Dorfs.
Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen
Der beste Zugang zu Mülheims Zeppelin-Geschichte führt über eine geführte Weinprobe im Weingut Max Ferd. Richter, wo Sie gegen eine Gebühr von 15 Euro auch den historischen „Flug-Riesling“ verkosten können. Reservieren Sie unbedingt 3 Tage im Voraus, besonders in der Hauptsaison von Mai bis Oktober.
Für den perfekten Mülheim-Tag beginnen Sie am frühen Morgen auf dem Panoramaweg, wenn die Morgensonne die Weinberge in goldenes Licht taucht. Parken Sie kostenlos am Moselkai und planen Sie für mittags eine Einkehr in einer der authentischen Weinstuben wie der „Remise“ oder dem „Weißen Bär“.
Die Verbindung von Weinkultur und Luftfahrtgeschichte ist auch in Geisenheim zu finden, wo deutsche Weinkultur ebenfalls weltweiten Einfluss nimmt – allerdings ohne die glamouröse Zeppelin-Verbindung.
Als ich mit einer Flasche Sonnenlay zum Auto zurückkehre, denke ich an die Luftschiffe, die einst majestätisch über den Atlantik schwebten, mit Mülheimer Wein an Bord. Sarah würde die Geschichte lieben – sie hat schon immer eine Schwäche für verborgene Luxusgeschichten aus unerwarteten Orten. Wie die Moselwinzer sagen: „Im kleinsten Fass reift oft der beste Wein.“ Mülheim beweist, dass manchmal die unscheinbarsten Orte die faszinierendsten Geschichten bewahren.