Mein Blick schweift über das Städtchen, während ich die steilen Kopfsteinpflasterstraßen von Saalfeld hinabsteige. Die Nachmittagssonne taucht die Renaissance-Fassaden in goldenes Licht, doch das ist nur die oberirdische Hälfte der Geschichte. Unter den Füßen der 29.325 Einwohner verbirgt sich ein Weltrekord, den selbst viele Deutsche nicht kennen: die nachweislich farbenreichsten Schaugrotten der Welt. Diese thüringische Stadt, nur 50 Kilometer südlich von Erfurt, hütet ein unterirdisches Farbenmeer, das im Guinness-Buch der Rekorde verewigt ist. Nach drei Tagen Erkundung kann ich bestätigen: Dieses Naturwunder übertrifft selbst die berühmten Carlsbad Caverns in den USA an Farbvielfalt.
Das farbenreichste unterirdische Wunder der Welt liegt in einer 29.000-Einwohner Stadt
Die Saalfelder Feengrotten entstanden ursprünglich als Alaunschieferbergwerk, in dem vom 16. bis 19. Jahrhundert Mineralien abgebaut wurden. Saalfeld bildet zusammen mit dem nahegelegenen Rudolstadt, wo Goethe und Schiller sich erstmals trafen, ein faszinierendes Reiseziel im Herzen Thüringens.
Nach der Stilllegung geschah etwas Erstaunliches: Mineralablagerungen verwandelten die schlichten Stollen in ein Kaleidoskop aus über 400 verschiedenen Farbnuancen. Nirgendwo sonst auf der Welt existiert eine solche natürliche Farbvielfalt unter der Erde. Die schimmernden Formationen in Rot-, Gelb-, Grün- und Blautönen wirken wie von Künstlerhand erschaffen.
Als ich tiefer in die Grotten hinabsteige, umgibt mich eine fast unwirkliche Stille. Die Temperatur fällt spürbar ab – und das ist der zweite überraschende Vorteil dieses Ortes: Während draußen sommerliche 30°C herrschen, bieten die Grotten mit konstanten 10°C eine natürliche Klimaanlage. Ein Temperaturunterschied von bis zu 20 Grad macht sie zum perfekten Sommerziel.
12°C Temperaturunterschied: Natürliche Klimaanlage im deutschen Sommer
Dieses geologische Wunder steht in starkem Kontrast zu überlaufenen Touristenzielen wie Neuschwanstein oder Rothenburg. Während an einem durchschnittlichen Julitag dort 20.000 Besucher durch enge Gassen drängen, erkunde ich die Feengrotten fast ungestört. Trotz 180.000 Besuchern jährlich verteilen diese sich gut über die Öffnungszeiten.
„Es ist, als würde man durch eine unterirdische Gemäldegalerie wandern, nur dass die Natur der Künstler war. Ich habe Höhlen auf drei Kontinenten besucht, aber diese Farbenpracht ist einzigartig.“
Der Kontrast zwischen dem historischen Stadtkern mit seiner Renaissance-Architektur und den prähistorischen Grotten schafft ein Erlebnis, das sonst nirgendwo in Deutschland zu finden ist. Die Stadt nennt sich selbst „Steinerne Chronik Thüringens“ – eine treffende Beschreibung für die gut erhaltenen historischen Gebäude aus sechs Jahrhunderten.
Wer sich für historische Altstädte in Thüringen interessiert, sollte auch die nahe Stadt Altenburg mit ihrer besterhaltenen Renaissance-Altstadt besuchen. Die Region bietet eine beeindruckende Dichte an Kulturschätzen.
Wie ein ehemaliges Bergwerk zum globalen Farbenwunder wurde
Die Transformation vom Industriestandort zum Naturwunder begann 1910, als die verlassenen Stollen wiederentdeckt wurden. Die Mineralien hatten über Jahrhunderte hinweg einen chemischen Zauber vollbracht: Kupfer-, Eisen- und Manganverbindungen bildeten leuchtende Ablagerungen an Wänden und Decken.
Das interaktive Grottoneum-Museum erzählt diese Geschichte detailliert. Besucher erfahren, wie das Zusammenspiel von Wasser, Mineralien und Zeit diesen einzigartigen Ort schuf. Wissenschaftlich gesehen sind die Grotten ein Lehrbuchbeispiel für natürliche Mineralisierungsprozesse.
Naturliebhaber, die mehr als die Feengrotten erleben möchten, können ihre Reise ins nahe Thale fortsetzen, wo auf dem Hexentanzplatz beeindruckende Musical-Inszenierungen stattfinden. Die gesamte Region ist reich an Naturphänomenen.
Renaissance über und unter der Erde: Die perfekte 24-Stunden-Reise
Um das Beste aus einem Besuch herauszuholen, empfehle ich diese Strategie: Beginnen Sie am frühen Morgen mit einem Spaziergang durch die historische Altstadt. Das Rathaus von 1537 gilt als Frühwerk der Sächsischen Renaissance und zeigt am Portal die historische Saalfelder Elle (56,6 cm).
Besuchen Sie die Feengrotten idealerweise zwischen 13 und 15 Uhr, wenn die Außentemperaturen am höchsten und die Besucherzahlen am niedrigsten sind. Der Eintritt beträgt 12,50 € für Erwachsene, Führungen starten alle 30 Minuten und dauern etwa eine Stunde.
Das angrenzende Feenwäldchen ist besonders für Familien ein Highlight. Meine Tochter Emma war begeistert von den Märchenfiguren und dem naturbelassenen Abenteuerspielplatz. Sarah, meine Frau, konnte derweil im Museumscafé arbeiten – der kostenlose WLAN-Zugang reicht bis in den Außenbereich.
Während ich durch die kühlen Gänge der Feengrotten wandere, denke ich an die Bergleute, die hier einst im Schein flackernder Laternen arbeiteten. Saalfeld ist wie ein Thüringer Waldgeist – bescheiden an der Oberfläche, aber voller Zauber im Inneren. Besuchen Sie es, bevor soziale Medien dieses farbenfrohe Geheimnis ganz entdecken.