Weniger bekannt als Rothenburg, dieses fränkische Weinörtchen von 3.363 Einwohnern versteckt 14 mittelalterliche Türme

Die Nachmittagssonne wirft lange Schatten durch die schmalen Gassen, als ich Eibelstadt erreiche – eine winzige Zeitkapsel mit gerade einmal 3.363 Einwohnern. Während mein Blick über die vollständig erhaltene Stadtmauer mit ihren 14 mittelalterlichen Wehrtürmen schweift, wird mir klar: Ich bin auf einen der bestgehüteten Schätze Frankens gestoßen. Diese kompakte Siedlung auf nur 7,06 Quadratkilometern beherbergt mehr Türme pro Einwohner als jede andere deutsche Stadt – statistisch gesehen ein Turm pro 240 Bürger.

Sarah fotografiert begeistert den Weißen Turm, dessen Name nicht etwa von einem Anstrich stammt, sondern von den hellen Natursteinen, aus denen er erbaut wurde. Ein älterer Herr mit Weinglas in der Hand grüßt uns freundlich, als hätte er schon auf uns gewartet. „Rothenburg kennt jeder“, meint er augenzwinkernd, „aber hier erleben Sie das echte Franken.“

Eine mittelalterliche Festung in Miniatur

Eibelstadt erhielt 1434 seine Stadtrechte von Kaiser Sigismund und begann sofort mit dem Bau seiner beeindruckenden Verteidigungsanlage. Was mich verblüfft: Die Errichtung der gesamten Mauer dauerte 140 Jahre – Generationen von Bürgern leisteten Frondienste, um ihre Stadt zu schützen.

Der imposante Kere-Turm, benannt nach Dompropst Richard von der Kere, wurde erst 1573 fertiggestellt und markierte den Abschluss dieses monumentalen Bauprojekts. Heute können Besucher auf dem 1,4 Kilometer langen Mauerring spazieren – eine architektonische Seltenheit, die vollständig erhalten blieb.

Besonders faszinierend: Viele der Türme sind bewohnt. Der Federolfs-Turm, von Einheimischen liebevoll „dicker Turm“ genannt, beherbergt noch heute Wohnungen. Im Henkerknechts-Turm residierte einst der Ochsenfurter Henkersknecht, später diente er als Sitz des geheimnisvollen Elferrats.

„Unsere Mauer ist keine Touristenattraktion, sie ist unser Lebensraum. Während andere Städte ihre Geschichte inszenieren, leben wir einfach in unserer.“

Warum Eibelstadt Rothenburg in den Schatten stellt

Der Vergleich mit Rothenburg ob der Tauber drängt sich auf. Die berühmte Touristenhochburg protzt zwar mit 15 Türmen, verteilt diese jedoch auf 12.000 Einwohner und eine deutlich größere Fläche. Während sich dort jährlich über zwei Millionen Besucher durch die Gassen schieben, bleibt Eibelstadt authentisch und beschaulich.

Diese Authentizität spiegelt sich auch im Stadtbild wider. Das barocke Rathaus von 1708 beherbergt ein kostbares Kruzifix des berühmten Bildhauers Tilman Riemenschneider. Auf dem Marktplatz stehen das Stadtschreiberhaus aus 1531 und das winzige Mesnerhäuschen mit seinem charakteristischen Fachwerk von 1688.

Während in Rothenburg ob der Tauber wie auch im thüringischen Mühlhausen die Besucher oft Schlange stehen, kann man in Eibelstadt noch echte Entdeckungen machen. Das Frühmesserhaus, ein kleines Heimatmuseum, öffnet von Mai bis Oktober sonntags seine Türen und gibt Einblick in die reiche Geschichte.

Wein und Mauern – eine einzigartige Kombination

Was Eibelstadt besonders macht, ist die Verbindung von Wehrbau und Weinkultur. Das Stadtwappen verrät es bereits: Ein gekrönter Löwe hält stolz eine Weinrebe in seinen Pranken. Anders als in Nordheim am Main, wo der Weinbau flächenmäßig dominiert, schmiegen sich hier die Reben direkt an die historische Stadtmauer.

Die mineralreichen Böden am Mainufer sorgen für charaktervolle Weine, hauptsächlich Silvaner und Spätburgunder. Im Sommer 2025 lohnt sich besonders ein Besuch der traditionellen Weinfeste, die auf dem großzügigen Marktplatz stattfinden – deutlich weniger überlaufen als vergleichbare Veranstaltungen im hessischen Rheingau.

Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen

Der ideale Besuch gelingt im Juli 2025, wenn die Weinberge in voller Blüte stehen und das Licht am Abend magisch durch die Türme fällt. Parken Sie kostenfrei am Mainufer und erkunden Sie die Stadt zu Fuß – vom Parkplatz bis zum Marktplatz sind es gerade einmal 250 Meter.

Radfahrer erreichen Eibelstadt bequem über den Mainradweg, der direkt an der Stadt vorbeiführt. Planen Sie Ihren Besuch für einen Wochentag vormittags oder nach 17 Uhr, um die Wehrtürme in Ruhe zu erkunden. Ein besonderes Erlebnis: Der Spaziergang entlang der kompletten Stadtmauer dauert nur 25 Minuten, bietet aber Ausblicke, die sonst nur Einheimische kennen.

Als ich mit Emma durch das ehemalige Maintor schlendere, verstehe ich, warum diese Stadt ein Geheimtipp bleiben wird. Wie ein fränkischer Wein, der zu schnell getrunken wird, würde auch Eibelstadt bei zu großem Ansturm seinen Charakter verlieren. Seine Wehrtürme haben nicht nur Jahrhunderte überdauert – sie bewahren heute noch die Seele einer Stadt, die sich ihre Authentizität bewahrt hat.