Dieses norddeutsche Städtchen von 70.000 Einwohnern versteckt die wahre Wiege der englischen Krone seit 1714

Ich stehe auf dem Kopfsteinpflaster vor Celles Renaissance-Schloss, während das Morgenlicht die Fassade in ein sanftes Gold taucht. Hinter mir erstreckt sich eine der beeindruckendsten Ansammlungen von über 400 Fachwerkhäusern Europas. Doch das wahre Geheimnis dieser norddeutschen Stadt mit 70.000 Einwohnern liegt nicht in ihrer offensichtlichen Schönheit. Während Millionen Touristen jährlich nach London pilgern, um die britische Monarchie zu bestaunen, befinde ich mich hier – am tatsächlichen Ursprungsort der englischen Krone, nur 230 Kilometer westlich von Berlin.

Die verborgene Wiege der englischen Monarchie seit 1433

Das imposante Celler Residenzschloss war von 1433 bis 1705 Hauptsitz der Welfen, jener Dynastie, deren direkte Linie später den britischen Thron besteigen sollte. Als ich durch die prunkvolle Schlosskapelle geführt werde, erklärt mir der Historiker: „König Georg I., geboren als Herzog Georg Ludwig von Braunschweig-Lüneburg, verließ seine Welfen-Heimat, um 1714 den britischen Thron zu besteigen.“

Der Stammbaum, den ich im Residenzmuseum betrachte, verdeutlicht diese faszinierende Verbindung. Die heutige britische Königsfamilie kann ihre Wurzeln direkt zu diesem norddeutschen Städtchen zurückverfolgen – eine Tatsache, die selbst viele Briten nicht kennen. Während Bad Mergentheim mit seiner 284-jährigen Deutschmeister-Geschichte einen anderen Adelskontext bietet, bewahrt Celle das tatsächliche königliche Erbe Europas.

Die Renaissance-Schlosskapelle, nur mit Führung zugänglich, beherbergt kunstvolle Schnitzereien und Gemälde, die die Welfen-Dynastie verewigen. Im angrenzenden Schlosstheater – einem der drei ältesten noch bespielten Barocktheater Deutschlands – kann man die kulturelle Blütezeit dieser Epoche förmlich spüren.

400+ Fachwerkhäuser: Europas beeindruckendste erhaltene Holzarchitektur

Nachdem ich das Schloss verlasse, tauche ich ein in ein Meer aus Fachwerk. Die Altstadt von Celle ist ein lebendiges Museum mit über 400 historischen Fachwerkhäusern, die ein zusammenhängendes Ensemble bilden – damit stellt sie selbst die bayerische Fachwerkstadt mit 90% historischen Gebäuden in den Schatten.

Besonders beeindruckend ist das Hoppener Haus von 1532, eines der kunstvollsten Fachwerkhäuser mit aufwendigen Holzschnitzereien. Als ich vor dem Gebäude stehe, aktivieren sich die „sprechenden Laternen“ – moderne Sensoren erzählen mir Geschichten aus vergangenen Jahrhunderten. Die Verbindung von historischer Substanz mit zeitgenössischer Technologie macht Celle einzigartig.

„Wir haben Paris und London besucht, aber hier in Celle spürt man Geschichte ohne die Touristenmassen. Man kann morgens um neun einen Kaffee auf dem Marktplatz trinken und ist oft der einzige Gast – ein Luxus, den man in bekannteren Städten nicht mehr findet.“

Tatsächlich begegne ich während meines Vormittagsspaziergangs durch die Gassen kaum anderen Touristen. 60-70% der Altstadt stehen unter Denkmalschutz, doch die Stadt fühlt sich lebendig an, nicht wie ein Museum. In den ehemaligen Handelshäusern befinden sich heute gemütliche Cafés, wo ich den lokalen „Heidekaffee“ mit Welfenkuchen probiere.

Das Kunstmuseum Celle bietet eine weitere Überraschung: Als einziges 24-Stunden-Museum der Welt verwandelt es sich nachts in ein leuchtendes Kunstobjekt mit LED-Projektionen. Während Lüchow im Wendland mit seinen 600 Künstlern für seine Kunstszene bekannt ist, verbindet Celle Kunst mit historischer Architektur auf einzigartige Weise.

Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen

Der beste Zugang zur Altstadt erfolgt über den Parkplatz Schloßplatz, der vormittags selten voll ist. Besuchen Sie das Residenzschloss am frühen Morgen, um die prunkvolle Kapelle ohne Menschenmassen zu erleben. Das Kombiticket für 12€ gewährt Zugang zu Residenzmuseum, Bomann-Museum und Kunstmuseum – ein echtes Schnäppchen.

Planen Sie Ihren Besuch für August 2025, wenn das Celler Schlossfest mit historischen Darstellungen, Ritterspielen und Feuerwerk die Welfen-Geschichte lebendig werden lässt. Das Else-Lichtspiele-Festival im Juli verwandelt die Schlossmauern in riesige Leinwände für Filmprojektionen – ein magisches Erlebnis an warmen Sommerabenden mit durchschnittlich 22°C.

Für ein authentisches Geschmackserlebnis sollten Sie den „Celler Tropfen“ probieren, einen Heidelbeerlikör, der nur im Schlossrestaurant serviert wird. Die spezielle Stickkunst aus dem Deutschen Stichelmuseum bietet zudem ein einzigartiges Souvenir aus dieser Region.

Als ich mit meiner Frau Sarah die nächtlich beleuchtete Altstadt erkunde, muss ich an meine siebenjährige Tochter Emma denken, die von „Prinzessinnen und Schlössern“ schwärmt. Hier in Celle würde sie verstehen, dass echte Geschichte faszinierender ist als jedes Märchen. Wie die Celler sagen würden: „Celle machen“ – die Stadt genießen – ist eine Reise durch die Zeit, die jeden Besucher zum Historiker werden lässt. Dieses norddeutsche Juwel verdient mehr als nur einen flüchtigen Blick auf dem Weg nach Hamburg oder Berlin.