Weniger touristisch als Binz, diese Rügen-Stadt von 9.040 Einwohnern beherbergt Europas längste Mole

Die 1.450-Meter-Mole ragt wie ein steinerner Pfeil in die stahlblaue Ostsee hinaus. Es ist früher Morgen in Sassnitz, und ich stehe am Ende von Europas längster Mole, während Fischer ihre Netze für den Tagesfang vorbereiten. Diese unscheinbare Stadt mit nur 9.040 Einwohnern auf der Insel Rügen verbirgt drei außergewöhnliche Schätze, von denen selbst viele Deutsche nichts wissen: eine rekordverdächtige Mole, ein echtes britisches U-Boot-Museum und eine UNESCO-gekrönte Kreideküste mit uralten Buchenwäldern.

Gestern erst bin ich mit Sarah und unserer Tochter Emma angekommen, neugierig, ob Sassnitz das versprochene „versteckte Juwel der Ostsee“ sein würde. Nach nur einem Tag kann ich sagen: Es übertrifft alle Erwartungen.

Europas unbekannte 1.450-Meter-Rekordmole versteckt sich an der Ostsee

Die Sassnitzer Mole ist mit 1.450 Metern etwa dreimal länger als der berühmte Brighton Pier in England, bleibt aber international weitgehend unbekannt. Ursprünglich als Fährhafen angelegt, dient sie heute als atemberaubender Spazierweg mit 360-Grad-Meerblick. Morgens um 7 Uhr gehört sie fast ausschließlich den Einheimischen und einigen Fotografen.

Während Sassnitz die längste Mole beherbergt, findet man in Wolgast eine andere maritime Rarität – Deutschlands letzte Bascule-Brücke. Aber hier in Sassnitz konzentriert sich das maritime Erbe auf engem Raum.

Am Molenkopf treffe ich Klaus, einen wettergebräunten Fischer, der gerade seinen Kutter festmacht. „Wir verkaufen unseren Fang direkt vom Boot“, erklärt er mir. „Kommen Sie gegen 8:30 Uhr wieder, dann gibt’s frischen Dorsch und die besten Fischbrötchen der Ostsee – direkt vom Meer auf den Teller.“

Ein britisches U-Boot in deutscher Heimat: Das überraschende Museumserlebnis

Nur 300 Meter vom Molenkopf entfernt liegt die HMS Otus – ein komplett erhaltenes britisches U-Boot der Oberon-Klasse, das seit 1991 als schwimmendes Museum dient. Mit einer Länge von 90 Metern beherbergt es originale Navigations- und Waffensysteme sowie funktionsfähige Periskope.

Das Erstaunliche: Durch diese Periskope kann man tatsächlich den Hafen beobachten, genau wie die Besatzung es einst tat. Technikbegeisterte, die das U-Boot-Museum besucht haben, finden in Schönberg ein weiteres Highlight mit Deutschlands einziger Strand-Museumsbahn.

„Man fühlt sich wie in einer Zeitkapsel. Die engen Gänge, der Geruch von Metall und Öl – es ist, als würde das U-Boot gleich abtauchen. Selbst nach Dutzenden Besuchen in Marinemuseen weltweit habe ich nichts Vergleichbares erlebt.“

Die Authentizität ist unübertroffen. In der Kommandozentrale sind die Instrumente funktionstüchtig, und im Mannschaftsquartier stehen noch die schmalen Kojen, in denen sich die Seeleute einst abwechselnd ausruhten. Kinder wie meine Tochter Emma sind besonders fasziniert von den Torpedorohren und der winzigen Kombüse.

UNESCO-Doppelwunder: Kreideküste trifft auf geschützte Buchenwälder

Was die wenigsten wissen: Nur 8 Kilometer östlich von Sassnitz erhebt sich der Nationalpark Jasmund mit seinen berühmten weißen Kreidefelsen. Anders als die bekannten White Cliffs of Dover in England ist dieser Küstenabschnitt von uralten Buchenwäldern gekrönt – eine Kombination, die 2011 zum UNESCO-Weltnaturerbe erklärt wurde.

Naturliebhaber schätzen nicht nur den Nationalpark Jasmund, sondern auch Baabe mit seinem vielfach ausgezeichneten umweltfreundlichen Strand. In Sassnitz selbst lohnt sich der „Wissower Klinkenweg“ – ein versteckter Pfad, der durch majestätische Buchenwälder zu atemberaubenden Aussichtspunkten führt.

Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen

Für das perfekte Sassnitz-Erlebnis sollten Sie früh aufbrechen. Die Mole ist am schönsten im Morgenlicht zwischen 6 und 8 Uhr, wenn das goldene Sonnenlicht die weißen Kreidefelsen in der Ferne zum Leuchten bringt. Für Fischliebhaber: Die frischesten Fischbrötchen gibt es direkt von den Kuttern am Hafen – für nur 4-5 Euro.

Der ideale Zeitpunkt für einen Besuch ist Juli bis August 2025, wenn Sassnitz Gastgeber des prestigeträchtigen SailGP-Events wird. Hightech-Segelkatamarane werden mit Geschwindigkeiten von bis zu 93 km/h vor der Küste Sassnitz‘ rasen – ein spektakuläres Schauspiel vor der Kulisse der Kreidefelsen.

Nach dem SailGP in Sassnitz können Segelbegeisterte ihre maritime Reise in Rostock fortsetzen, wo Europas größtes Segelschiff-Treffen stattfindet.

Während Emma und ich durch das Periskop des U-Boots spähen, denke ich an die unzähligen überfüllten Touristenorte, die ich in meiner Karriere besucht habe. Sassnitz fühlt sich anders an – wie ein gut gehütetes Geheimnis, das seine Identität bewahrt hat. Die Einheimischen nennen es „unser Kleinod an der Kreide“ – und genau das ist es: ein maritimes Juwel, das darauf wartet, entdeckt zu werden, bevor der Rest der Welt davon erfährt.