Weniger touristisch als Amsterdam, diese deutsche Kleinstadt von 2.558 Einwohnern beherbergt Norddeutschlands größtes Giebelhaus-Ensemble

Das Sonnenlicht bricht durch die Backsteingiebel, als ich durch die stille Gracht gleite. Ich bin in einer Stadt, die wie aus dem holländischen Bilderbuch stammt – mit dem Unterschied, dass ich mich nicht in Amsterdam befinde, sondern mitten in Deutschland. Friedrichstadt, ein Ort mit gerade einmal 2.558 Einwohnern, liegt versteckt im nördlichen Schleswig-Holstein, nur 60 Kilometer südlich der dänischen Grenze. Während mein Boot sanft unter einer der 250 Jahre alten Natursteinbrücken hindurchgleitet, kann ich kaum glauben, dass dieser Ort trotz seiner atemberaubenden Schönheit von internationalen Reisenden weitgehend übersehen wird.

Klein-Amsterdam mit 2.558 Einwohnern: Deutschlands bestgehütetes Kanalgeheimnis

Was diese Stadt besonders macht, ist ihr unverkennbar niederländisches Erbe. 80-90% der Originalgebäude aus dem 17. Jahrhundert stehen noch immer – ein architektonisches Wunder, das selbst in den Niederlanden selten zu finden ist. Die Häuser mit ihren charakteristischen Treppengiebeln aus rotem Backstein spiegeln sich in den ruhigen Kanälen, genau wie im berühmten Amsterdam – nur ohne die Touristenmassen.

Im Gegensatz zu der niederländischen Hauptstadt, wo Sie Schlange stehen müssen, um ein Boot zu mieten, können Sie hier spontan eine Grachtenfahrt buchen und die Stadt vom Wasser aus erleben. Friedrichstadt gehört wie das Ostseejuwel Baabe zu Deutschlands versteckten Reiseperlen, die man entdecken sollte, bevor sie in den sozialen Medien viral gehen.

Am Marktplatz angekommen, entdecke ich das größte zusammenhängende Ensemble historischer Backsteinbauten Norddeutschlands. Neun Giebelhäuser aus dem 17. Jahrhundert umrahmen den Platz – ein architektonisches Ensemble, das in seiner Vollständigkeit selbst viele niederländische Städte übertrifft.

Europa Nostra-prämierte Architektur: Das holländische Erbe in Backsteinform

Was die meisten Besucher nicht wissen: Das Doppelgiebelhaus in der Prinzenstraße 23 wurde 1985 mit dem prestigeträchtigen Europa Nostra Preis ausgezeichnet – einer der höchsten europäischen Anerkennungen für Denkmalpflege. Die religiöse Vielfalt Friedrichstadts stellt eine ungewöhnliche Parallele zur Pilgerstadt Werl dar, doch hier koexistieren gleich fünf verschiedene Glaubensgemeinschaften seit der Stadtgründung friedlich miteinander.

„Wir haben keine Menschenmassen wie in Amsterdam, dafür aber die komplette Atmosphäre. Unsere Gäste sind immer überrascht, dass sie hier alle diese holländischen Giebelhäuser finden, ohne sich durch Touristenmassen zwängen zu müssen.“

Während ich durch die Prinzenstraße schlendere, entdecke ich das sogenannte „Schiefe Haus“ – ein Gebäude, das sich deutlich zur Seite neigt und von Einheimischen liebevoll als „Pisa von Friesland“ bezeichnet wird. Während Friedrichstadts Kanäle auf Amsterdam verweisen, lohnt auch ein Abstecher zur sternförmig angelegten historischen Sternenstadt Glückstadt.

Grachtenfahrten ohne Wartezeiten: Die ruhige Alternative zu Amsterdam

Der wahre Luxus in Friedrichstadt ist die Abwesenheit von Menschenmassen. Während in Amsterdam bis zu 20 Millionen Touristen jährlich die Grachten bevölkern, empfängt Friedrichstadt maximal 50.000 Besucher in der Hauptsaison – ein Verhältnis, das entspanntes Erkunden ermöglicht.

Die Bootsfahrten kosten zwischen 8 und 12 Euro pro Person und dauern etwa 45 Minuten. Besonders beeindruckend ist der Blick auf die historischen Brücken aus Naturstein, die teilweise über 250 Jahre alt sind. Wer nach dem Grachtenerlebnis Meeresluft schnuppern möchte, findet im Ostseebad Laboe eine perfekte Ergänzung.

Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen

Für das authentischste Erlebnis besuchen Sie die Stadt am frühen Morgen, wenn die Sonne die Backsteingiebel in warmes Licht taucht und die Kanäle spiegelglatt daliegen. Parken Sie kostenlos am Fürstenburgwall, nur 200 Meter vom historischen Marktplatz entfernt.

Der beste versteckte Ort für ein Foto ist die kleine Brücke zwischen Mittelburgwall und Westerhafenstraße – hier haben Sie den perfekten Blick auf eine Reihe von Giebelhäusern, die sich im Kanal spiegeln. Bei einer Rundreise durch Schleswig-Holstein lässt sich Friedrichstadt ideal mit einem Besuch der Nordseestadt Husum verbinden.

Als ich zum Abschied durch die von Trauerweiden gesäumten Grachten gleite, denke ich an etwas, das meine Tochter Emma sagte, als wir letztes Jahr Amsterdam besuchten: „Es wäre schön, wenn es so aussehen würde, aber ohne die vielen Menschen.“ In Friedrichstadt hat sie genau das gefunden – ein holländisches Juwel mit der Ruhe und Authentizität, die man in überlaufenen Reisezielen vergeblich sucht. Wie ein guter Backstein, der Jahrhunderte überdauert, bleibt Friedrichstadt fest in seiner Identität verankert – bereit, entdeckt zu werden, bevor der Rest der Welt darauf aufmerksam wird.