Ich trete durch den schmalen Durchgang an der Hafenstraße, und plötzlich öffnet sich die sternförmige Welt von Glückstadt vor mir. Mit nur 11.492 Einwohnern auf 22,75 Quadratkilometern hat diese versteckte Perle an der Elbe etwas, das selbst mich nach 10 Jahren globaler Reisen verblüfft: ein perfekt erhaltener sternförmiger Stadtplan aus dem 17. Jahrhundert mit 12 radialen Straßen, die vom Marktplatz ausgehen.
Die Abendsonne vergoldet die Fassaden der historischen Häuserzeile „Am Hafen“, während ich staunend stehen bleibe. Ich bin nur 60 Kilometer nordwestlich von Hamburg, aber es fühlt sich an, als hätte ich ein geheimes Kapitel norddeutscher Geschichte entdeckt, das selbst langjährige Deutschlandreisende übersehen.
Die vergessene Sternenstadt mit 12 radialen Straßen seit 1617
Glückstadt wurde 1617 vom dänischen König Christian IV. als Planstadt nach geometrischem Muster angelegt – eine architektonische Rarität, die in Norddeutschland ihresgleichen sucht. Der sternförmige Grundriss erinnert an niederländische Städte wie Enkhuizen, während andere historische Städte wie Wismar eher gewachsene Strukturen aufweisen.
Während ich die Hafenstraße entlangschlendere, enthüllt sich das wahre Geheimnis dieser Stadt: Glückstadt wurde als „Exulantenstadt“ gegründet – ein Zufluchtsort für religiös Verfolgte in einer Zeit konfessioneller Intoleranz. Sephardische Juden aus Portugal und niederländische Reformierte fanden hier etwas Außergewöhnliches: Religionsfreiheit im 17. Jahrhundert, mitten im streng lutherischen Holstein.
Die Uferstraße „Am Hafen“ – von Kennern als bedeutendste Norddeutschlands bezeichnet – steht heute unter Ensembleschutz. Ihre harmonischen Fassaden spiegeln sich im Hafenbecken, während ich einen alten Salzspeicher von 1827 entdecke, der einst der Glückstädter Heringsfischerei diente und heute als Künstleratelier „Artequarium“ fungiert.
Wie 11.492 Einwohner Norddeutschlands wichtigste Uferstraße bewahren
Anders als im hektischen Flensburg mit seinen jahrhundertealten Schmuggler-Geheimnissen oder im überlaufenen Husum herrscht hier eine unberührte Authentizität. Ein lokaler Fischhändler, der seinen Stand am Hafen aufbaut, teilt mit mir sein Wissen über den berühmten Glückstädter Matjes.
„Unsere Stadt mag klein sein, aber unser Matjes ist weltberühmt. Die Touristen fahren nach Husum oder Hamburg, während wir hier seit Generationen unsere Traditionen bewahren. Der Matjesmarkt im Juni bringt Leben in die Stadt, aber danach kehrt wieder diese besondere Ruhe ein, die wir lieben.“
Der achteckige Wiebeke-Kruse-Turm mit seiner 99-stufigen Spindeltreppe wacht über die Stadt wie ein stiller Zeuge vergangener Jahrhunderte. Obwohl in Privatbesitz und nicht öffentlich zugänglich, verleiht er dem Stadtbild eine markante Silhouette. Glückstadt strahlt eine unaufgeregte Würde aus, die in unserer Zeit der Massentourismusdestinationen selten geworden ist.
Die religiöse Toleranzgeschichte Glückstadts ergänzt das reiche historische Erbe Schleswig-Holsteins, zu dem auch Schleswigs bedeutendes Wikinger-Weltkulturerbe Haithabu gehört.
Was die Reiseführer Ihnen nicht erzählen
Der beste Zugang zur Altstadt erfolgt über die Stadtstraße, wo kostenfreie Parkplätze direkt am Binnenhafen zur Verfügung stehen. Besuchen Sie Glückstadt am frühen Morgen, wenn lokale Fischer ihre Netze kontrollieren, oder am späten Nachmittag, wenn goldenes Licht die historischen Fassaden zum Leuchten bringt.
Der absolute Höhepunkt im Sommer 2025 wird der Matjesmarkt sein, der traditionell im Juni stattfindet. Ein Geheimtipp: Für ein authentisches kulinarisches Erlebnis besuchen Sie das Restaurant „Der kleine Heinrich“ in einem Gebäude aus dem 17. Jahrhundert, wo der Matjes nach traditionellen Rezepten zubereitet wird.
Einheimische empfehlen auch einen Spaziergang entlang des Fleth – einer Wasserstraße, die durch die Stadt fließt – gefolgt von einer entspannten Tour mit der Elbfähre nach Wischhafen. Kulinarische Entdecker, die nach dem Matjesmarkt weitere Besonderheiten in Schleswig-Holstein erkunden möchten, sollten auch Meldorfs weltweit einzigartiges Löffelmuseum nicht verpassen.
Als ich am Abend wieder durch die sternförmigen Straßen zum Hafen zurückschlendere, denke ich an all die verborgenen Geschichten, die in dieser Stadt bewahrt werden. Sarah würde die Künstlerkolonie im historischen Stadtkern lieben, und unsere Tochter Emma wäre von der Elbfähre begeistert. In einer Welt voller Instagram-Hotspots und überlaufener Sehenswürdigkeiten bleibt Glückstadt ein seltener Schatz – wie ein kunstvoll geschliffener Matjesdiamant, der nur darauf wartet, von aufmerksamen Reisenden entdeckt zu werden.