Weniger touristisch als Lübeck beherbergen 43.467 Wismarer sechs monumentale Backsteingotik-Kirchen seit 1250

Ich stehe an der Kaimauer im Alten Hafen von Wismar, wo die Morgensonne die roten Backsteinfassaden zum Leuchten bringt. Was mich sofort verblüfft: Diese Stadt mit gerade einmal 43.467 Einwohnern beherbergt einen der besterhaltenen mittelalterlichen Stadtkerne Europas. Während die Hafenmöwen über meinem Kopf kreisen, offenbart sich vor mir ein architektonisches Ensemble, das im drastischen Kontrast zur bescheidenen Größe der Stadt steht – 80-90% der Altstadt sind im Original erhalten.

Mit nur 43.467 Einwohnern bewahrt Wismar einen fast vollständigen mittelalterlichen Stadtkern

Ich schlendere über das historische Kopfsteinpflaster, das seit dem 13. Jahrhundert kaum verändert wurde. Die mittelalterliche Parzellenstruktur ist nahezu intakt geblieben – ein seltenes Phänomen in Deutschland und Europa. Ähnlich wie die Renaissance-Idealstadt Marienberg in Sachsen hat auch Wismar seinen ursprünglichen Stadtgrundriss nahezu unverändert bewahrt – allerdings aus einer noch früheren Epoche.

Am Marktplatz angelangt, staune ich über seine imposante Größe – er zählt zu den größten Marktplätzen Norddeutschlands. Das historische Gebäude „Alter Schwede“ von 1380 fängt sofort meinen Blick. Der Name erinnert an die schwedische Herrschaft über Wismar, die 223 Jahre (1648-1871) andauerte.

Als Reisejournalist habe ich viele UNESCO-Welterbestätten besucht, aber Wismars Kontrast zwischen bescheidener Einwohnerzahl und monumentalem Erbe ist einzigartig. In dieser Hansestadt erlebt man eine der höchsten Konzentrationen an UNESCO-Welterbe-Architektur pro Einwohner an der deutschen Ostseeküste.

Sechs monumentale Backsteingotik-Kirchen in einer Kleinstadt: Architektonisches Wunder der Ostsee

Die Nikolaikirche ragt vor mir auf – ein 37 Meter hoher Backsteingigant. Sie ist nur eine von sechs bedeutenden Backsteingotik-Kirchen in dieser kleinen Stadt. Entlang der Ostseeküste finden sich weitere architektonische Schätze wie Greifswald mit seiner historischen Klappbrücke, doch Wismars Backsteingotik-Ensemble bleibt unübertroffen.

„Manchmal vergesse ich, dass ich in einer Stadt mit nur 40.000 Einwohnern lebe. Wenn ich durch unsere Straßen gehe und auf diese jahrhundertealten Gebäude schaue, fühlt es sich an, als würde ich durch ein lebendiges Museum spazieren – nur ohne die Touristenmassen, die man in Lübeck ertragen muss.“

Während ich zum Wassertor laufe, dem einzigen erhaltenen Stadttor der mittelalterlichen Befestigung, wird mir klar, warum Wismar oft als „verstecktes Juwel“ bezeichnet wird. Im Gegensatz zum nahegelegenen Stralsund oder dem berühmten Lübeck wirkt Wismar authentischer und weniger kommerzialisiert.

Während Naumburg mit seinen weltberühmten Stifterfiguren die Steinmetzkunst des 13. Jahrhunderts repräsentiert, zeigt Wismar die Meisterschaft der Backsteingotik derselben Epoche – jedoch mit einem deutlich ruhigeren Besuchererlebnis.

Historisches Erbe: Warum diese unscheinbare Stadt zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt

Seit 2002 gehört Wismars historische Altstadt zusammen mit Stralsund zum UNESCO-Weltkulturerbe. Während das Wikinger-Welterbe Haithabu Einblicke in die frühmittelalterliche Geschichte bietet, repräsentiert Wismar die Blütezeit der Hanse im Hochmittelalter.

Der erhaltene mittelalterliche Wasserweg „Grube“ ist ein weiteres Unikum – der letzte erhaltene mittelalterliche Wasserlauf in einer norddeutschen Altstadt. Als ich entlang dieses Kanals spaziere, der einst Waren ins Stadtzentrum brachte, verstehe ich die funktionale Genialität der Hansestadt.

Praktische Reisehinweise: Der perfekte Zeitpunkt für Wismar im Sommer 2025

Für meinen Besuch habe ich bewusst den frühen Morgen gewählt, wenn das Licht die Backsteinfassaden in warme Orangetöne taucht. Der beste Zugang zur Altstadt ist über den Parkplatz am Alten Hafen, der im Vergleich zu den innerstädtischen Parkplätzen geräumiger und günstiger ist.

Im Sommer 2025 findet das traditionelle Hafenfest statt – ein authentisches maritimes Ereignis ohne die Überfüllung größerer Küstenstädte. Bei einer Rundreise durch historische Kleinode Ostdeutschlands lässt sich Wismar ideal mit einem Besuch in Großenhain verbinden, wo Sie Deutschlands größten Barockgarten entdecken können.

Während ich meinen Kaffee in einem kleinen Café am Marktplatz genieße, denke ich an meine Tochter Emma, die die steinernen „Schwedenköpfe“ am Hafen sicherlich als „Wikinger-Wächter“ bezeichnet hätte. Wismar ist wie ein mittelalterliches Märchenbuch, das man in einer verstaubten Bibliothek entdeckt – unscheinbar von außen, aber voller faszinierender Geschichten im Inneren. Kommen Sie, bevor der Rest der Welt dieses architektonische Juwel an der Ostsee entdeckt.