Ein kühler Junimorgen in Sachsen, und ich stehe vor dem mächtigen Jugendstilrathaus von Waldheim. Die morgendliche Sonne spiegelt sich in den zweitgrößten Turmuhren Deutschlands, während die 9.176 Einwohner kleine Stadt langsam erwacht. Ich nehme einen tiefen Atemzug und kann die Geschichte förmlich riechen. Es ist kaum zu glauben – dieses unscheinbare Städtchen im Zschopautal beherbergt Deutschlands ältestes Gefängnis, ein Monument mit über 300 Jahren düsterer Geschichte.
Meine Fotografin-Ehefrau Sarah würde die architektonischen Linien dieses Ortes lieben, denn während die Touristen in Rothenburg ob der Tauber Selfies machen, birgt Waldheim ein historisches Mysterium, das selbst die meisten Deutschen nicht kennen. Nach mehr als zehn Jahren Reisejournalismus begeistern mich solche versteckten Juwelen immer noch am meisten.
33 Todesurteile: Das düstere Geheimnis der 9.176-Einwohner-Stadt Waldheim
Meine Führerin öffnet die schwere Tür zum Sächsischen Strafvollzugsmuseum, einem beeindruckenden Zeugnis deutscher Justizgeschichte. „Hier wurden während der Waldheimer Prozesse 1950/51 insgesamt 33 Todesurteile gegen NS-Kriegsverbrecher verhängt“, erklärt sie mit gedämpfter Stimme.
Das Gebäude selbst wurde 1716 unter August dem Starken als Zucht-, Armen- und Waisenhaus gegründet. Heute führen schmale Korridore durch authentisch erhaltene Zellen, die ein erschütterndes Zeugnis von drei Jahrhunderten Strafvollzug ablegen. Im dämmrigen Licht studiere ich vergilbte Dokumente und originale Fotografien der Prozesse.
Die Wände scheinen Geschichten zu flüstern – vom barocken Zuchthaus über die NS-Zeit bis zu den DDR-Jahren. Besonders beeindruckend ist die originale Hinrichtungsstätte, die in ihrer nüchternen Grausamkeit den Atem stocken lässt.
„Man vergisst völlig, dass man in einer Kleinstadt ist. Dieses Museum ist erschütternder als viele große Holocaust-Gedenkstätten, weil es so authentisch erhalten ist. Hier wird Geschichte nicht inszeniert, sie ist einfach da.“
300 Jahre Justizgeschichte: Vom Zuchthaus zum faszinierendsten Museum Sachsens
Ich verlasse das Museum und schlendere durch die komplett unter Denkmalschutz stehende Innenstadt. Ein faszinierender Kontrast: Während das Gefängnis die dunkle Seite repräsentiert, glänzt Waldheim gleichzeitig mit prachtvollen Jugendstilgebäuden.
Das 1902 erbaute Rathaus mit seinem fast 60 Meter hohen Turm ist ein architektonisches Meisterwerk. Im Ratssaal bewundere ich die nordischen Kiefernholzvertäfelungen und beeindruckende Wandmalereien, die von lokalem Stolz zeugen. Wer nach dem Besuch des Gefängnismuseums Erholung in der Natur sucht, findet im Schwarzwald ähnlich unentdeckte Reiseziele wie Waldheim.
Auf dem Marktplatz plätschert der historische Wettinbrunnen, benannt nach dem sächsischen Herrschergeschlecht. „Unsere Stadt ist ein Gesamtkunstwerk“, erzählt mir ein älterer Herr, der sich als ehemaliger Stadtarchivar vorstellt. „Aber selbst die meisten Sachsen kennen uns nur als Gefängnisstadt.“
Was Besucher über die Waldheimer Prozesse berichten: „Erschütternd authentisch“
Während ich die schmalen Gassen erkundere, fällt mir auf, wie anders Waldheim im Vergleich zu überlaufenen Touristenzielen wie Rothenburg wirkt. Keine Souvenirläden, die Kitsch verkaufen – stattdessen authentisches sächsisches Leben.
Ich nehme an einer speziellen Führung zum Schaubergwerk Kellerberg teil, ein faszinierendes unterirdisches Gangsystem, das von der mittelalterlichen Bergbaugeschichte zeugt. „Die Geheimnisse des Kellerbergs“ nennen die Einheimischen diese Tunnel, in denen einst Silber und Serpentinit abgebaut wurden.
Von hier aus ist es nicht weit zum Wachbergturm, dem ersten Turm Deutschlands, der zur Erinnerung an den Deutsch-Französischen Krieg errichtet wurde. An seiner Fassade befinden sich Gedenktafeln mit Namen gefallener Bürger – ein stilles Mahnmal lokaler Geschichte. Aktuelle Termine für Sonderführungen und Events in Waldheim finden Sie regelmäßig in unseren Nachrichten.
Sommerführungen 2025: Exklusiver Zugang zu historischen Zellen und Untergrundgängen
Der Sommer 2025 bietet die ideale Gelegenheit, Waldheim zu erkunden. Die Touristeninformation am Markt organisiert spezielle historische Themenführungen – darunter faszinierende Routen zu Karl May-Spuren und Napoleon-Zeitreisen aus dem Jahr 1813.
Anreisen können Sie bequem über die BAB 14 zwischen Leipzig und Dresden. Parken Sie kostenlos am Marktplatz und planen Sie mindestens einen vollen Tag ein. Besonders empfehlenswert: Kombinieren Sie den Museumsbesuch mit einer Wanderung entlang der malerischen Zschopau.
Für Naturliebhaber bietet sich ein Abstecher zur nahen Talsperre Kriebstein an, wo im Sommer Schiffsfahrten angeboten werden. Entdecken Sie weitere einzigartige Reiseziele in Europa in unserer Reisekategorie.
Als ich Waldheim verlasse, blicke ich noch einmal zurück auf das imposante Rathaus. Meine Tochter Emma würde diesen Ort als „Burg mit Geheimnis“ bezeichnen – eine passende Beschreibung für diese Stadt, in der sich Schönheit und Düsternis auf faszinierende Weise verbinden. Wie ein sächsisches Sprichwort sagt: „Die kleinsten Städte tragen oft die größten Geschichten.“ Waldheim beweist dies eindrucksvoll.